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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Und sie sahen so aus, als wären ihre Füße am Boden festgenagelt.
    »Dieses Mädchen möchte also keine Novizin sein«, sagte eine Frauenstimme von der Treppe. Eine Stimme, die Moiraine nur einmal gehört hatte, vor zwei Jahren, aber nie wieder vergessen würde. Eine Anzahl Frauen waren stärker als sie, aber nur eine einzige konnte soviel stärker sein als alle anderen. Widerwillig sah sie über die Schulter.
    Fast schwarze Augen maßen sie unter einem Knoten eisengrauen Haars mit goldenem Schmuck: Sterne und Vögel, Mondsicheln und Fische. Auch Cadsuane trug einen Schal, mit grünen Fransen. »Meiner Meinung nach, Mädchen«, sagte sie trocken, »könntest du von zehn Jahren in der weißen Burg profitieren.«
    Alle hatten geglaubt, daß Cadsuane Melaidhrin irgendwann im Ruhestand gestorben wäre, bis sie bei Ausbruch des Aiel-Krieges wieder aufgetaucht war, und zahlreiche Schwestern wünschten sich wahrscheinlich, sie würde tatsächlich im Grabe ruhen. Cadsuane war eine Legende und höchst ungemütlich, wenn sie in voller Lebensgröße vor einem stand und einen ansah. Die Hälfte aller Geschichten, die sich um sie rankten, grenzten an das Unwahrscheinliche, die andere Hälfte ging darüber hinaus, selbst bei denen, die Beweise hatten. Ein längst vergangener König von Tarabon wurde von ihr aus seinem Palast entführt, als bekannt wurde, daß er kanalisieren konnte, nach Tar Valon gebracht, um dort gedämpft zu werden, während eine ganze Armee, die es nicht glauben konnte, die Verfolgung aufnahm. Sie hatte einen König von Arad Doman und eine Königin von Saldaea gleichzeitig entführt, heimlich weggeschafft, und als Cadsuane sie schließlich wieder freiließ, fand ein Krieg, der als unausweichlich gegolten hatte, einfach nicht statt. Man sagte, daß sie die Gesetze der Burg so zurechtbog, wie es ihr in den Kram paßte, Brauchtum mißachtete, ihre eigenen Wege ging und andere häufig mit sich zog.
    »Ich danke der Aes Sedai für ihre Fürsorge«, begann Moiraine, verstummte aber unter dem Blick. Kein stechender Blick. Einfach unerbittlich. Angeblich waren im Lauf der Jahre selbst Amyrlins Cadsuane vorsichtig aus dem Weg gegangen. Man munkelte, daß sie einmal sogar eine Amyrlin angegriffen hatte. Das war natürlich unmöglich; sie wäre hingerichtet worden! Moiraine schluckte und versuchte, noch einmal anzufangen, stellte aber nur fest, daß sie wieder schlucken wollte.
    Cadsuane kam die Treppe herunter und sagte zu Merean und Larelle: »Bringt das Mädchen mit.« Ohne einen weiteren Blick glitt sie durch den Schankraum. Kaufleute und Handwerker starrten sie an, manche ganz unverhohlen, manche aus den Augenwinkeln, und auch Behüter, aber jede Schwester hatte den Blick auf ihren Tisch gerichtet.
    Mereans Gesicht wurde verkniffen, Larelle seufzte übertrieben, aber sie drängten Moiraine hinter dem wogenden goldenen Haarschmuck her. Ihr blieb keine andere Wahl, als mitzugehen. Wenigstens Cadsuane konnte keine der Frauen sein, die Tamra hinzugezogen hatte; seit ihrem Besuch bei Kriegsbeginn war sie nicht mehr nach Tar Valon zurückgekehrt.
    Cadsuane führte sie in eines der privaten Zimmer des Gasthauses, wo ein Feuer im Kamin aus schwarzem Stein brannte und silberne Leuchter an der roten Wandtäfelung hingen. Ein hoher Krug stand am Feuer, damit er warm blieb, und auf einem kleinen Tisch mit Schnitzereien hatte man ein lackiertes Tablett mit Silberbechern abgestellt. Merean und Larelle nahmen auf zwei der bunt gepolsterten Sessel Platz, aber als Moiraine ihren Mantel auf einen Stuhl legte und sich setzen wollte, zeigte Cadsuane auf eine Stelle vor den beiden Schwestern. »Stell dich dorthin, Kind«, sagte sie.
    Moiraine bemühte sich, nicht mit den Fäusten den Rock zu packen, und folgte der Anweisung. Gehorsam war ihr immer schwergefallen. Bis sie mit sechzehn in die Burg gekommen war, hatte sie nur wenigen Menschen gehorchen müssen. Die meisten hatten ihr gehorcht.
    Cadsuane ging langsam einmal, zweimal um die drei anderen Frauen herum. Merean und Larelle sahen sich verwundert, stirnrunzelnd an, und Larelle machte den Mund auf, aber nach einem Blick auf Cadsuane schloß sie ihn wieder. Sie schützten unbeteiligte Gelassenheit vor; jeder Beobachter hätte geglaubt, daß sie genau wußten, was vor sich ging. Manchmal sah Cadsuane sie an, aber ihre Aufmerksamkeit galt überwiegend Moiraine.
    »Die meisten neuen Schwestern«, sagte die legendäre Grüne unvermittelt, »nehmen ihre Schals kaum zum Schlafen oder

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