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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Marmorbänken oder drängten sich in kleinen Gruppen und waren scheinbar alle in ernste, vom Plätschern des Wassers übertönte Gespräche vertieft.
    In einem angrenzenden, wesentlich kleineren Raum gab ihnen die Hexenmeisterin mit einer Geste zu verstehen, daß sie sich auf eine Reihe geschnitzter Eichenbänke an einer Wand setzen sollten. Abby war hundemüde und erleichtert, daß sie sich endlich setzen konnte.
    Licht von Fenstern über den Bänken fiel auf drei Gobelins, die an der hohen Wand gegenüber hingen. Alle drei zusammen bedeckten fast die ganze Wand und zeigten in ihrer Gesamtheit die Szene einer großen Prozession durch eine Stadt. Abby hatte etwas Ähnliches nie gesehen, aber da ihre Angst ihr gesamtes Denken durchdrang, konnte sie nicht einmal einem derart majestätischen Tableau Freude abgewinnen.
    Im Zentrum des cremefarbenen Marmorbodens befand sich, aus eingelassenen Messingstreifen gefertigt, ein Kreis mit einem Quadrat darin, dessen Ecken den Kreis berührten. In dem Quadrat befand sich ein zweiter Kreis, gerade groß genug, daß er die Innenseiten des Quadrats berührte. Der innere Kreis enthielt einen Stern mit acht Zacken. Linien gingen von den Spitzen des Sterns aus und durchbohrten beide Kreise, jede zweite Linie halbierte eine Ecke des Quadrats.
    Das Muster, das Grazie genannt wurde, wurde häufig von denen mit der Gabe gezeichnet. Der äußere Kreis symbolisierte den Anfang der unendlichen Geisterwelt jenseits. Das Quadrat symbolisierte die Grenze, die die Geisterwelt - die Unterwelt, die Welt der Toten - von dem inneren Kreis trennte, der wieder die Grenze der Welt des Lebens darstellte. In der Mitte von allem befand sich der Stern, der das Licht versinnbildlichte - den Schöpfer.
    Es war eine Darstellung des Kontinuums der Gabe: Vom Schöpfer ging sie aus, durchdrang das Leben, und im Tode überquerte sie die Grenze zur Ewigkeit, und die Geister befanden sich in der Unterwelt im Gefilde des Bewahrers. Aber es symbolisierte auch eine Hoffnung - die Hoffnung, von der Geburt, das Leben hindurch und darüber hinaus, in der Unterwelt, im Licht des Schöpfers zu bleiben.
    Man sagte, daß nur den Seelen derer, die im Leben von großer Bosheit gewesen waren, in der Unterwelt das Licht des Schöpfers versagt blieb. Abby wußte, sie würde zu einer Ewigkeit mit dem Bewahrer der Dunkelheit in der Unterwelt verdammt sein. Sie hatte keine Wahl.
    Die Hexenmeisterin verschränkte die Arme. »Ein Gehilfe wird kommen und Sie nacheinander abholen. Ein Zauberer wird jeden von Ihnen empfangen. Der Krieg tobt; bitte fassen Sie Ihr Anliegen kurz.« Sie sah die Reihe der Leute entlang. »Aus reiner Verpflichtung denen gegenüber, denen wir dienen, empfangen die Zauberer Bittsteller, aber bitte versuchen Sie zu verstehen, daß individuelle Bitten dem höheren Guten häufig entgegensetzt sind. Wenn man sich die Zeit nimmt, einem einzelnen zu helfen, wird häufig vielen die Hilfe versagt. Eine Ablehnung Ihrer Bitte bedeutet demzufolge nicht, daß Ihre Bedürfnisse mißachtet werden, sondern daß man das Wohl aller im Auge behält. In Friedenszeiten kommt es selten vor, daß Zauberer die unbedeutenden Anliegen der Bittsteller erfüllen. In einer Zeit wie dieser, der Zeit eines großen Krieges, ist es fast unerhört. Bitte verstehen Sie, daß es nichts damit zu tun hat, was wir uns wünschen, sondern eine Frage der Notwendigkeit ist.«
    Sie sah die Reihe der Bittsteller entlang, aber keiner war bereit, auf sein Anliegen zu verzichten. Abby ganz gewiß nicht.
    »Nun gut. Uns stehen derzeit zwei Zauberer zur Verfügung, um mit Bittstellern zu sprechen. Wir werden jeden von Ihnen zu einem bringen.«
    Die Hexenmeisterin wandte sich ab, um zu gehen.
    Abby erhob sich. »Bitte, Herrin, auf ein Wort?«
    Die Hexenmeisterin richtete einen beunruhigenden Blick auf Abby. »Sprich.«
    Abby trat vor. »Ich muß den Ersten Zauberer selbst sprechen. Zauberer Zorander.«
    Eine Augenbraue wurde hochgezogen. »Der Erste Zauberer ist ein sehr beschäftigter Mann.«
    Abby griff in den Sack und zog das Halsband vom Gewand ihrer Mutter heraus. Sie trat ins Zentrum der Grazie und küßte die roten und gelben Perlen des Halsbands.
    »Ich bin Abigail, geboren von Heisa. Bei der Grazie und der Seele meiner Mutter muß ich Zauberer Zorander sprechen. Bitte. Ich habe keine unbedeutende Reise unternommen. Leben stehen auf dem Spiel.«
    Die Hexenmeisterin sah zu, wie das Perlenband in den Sack zurückgelegt wurde. »Abigail, geboren von

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