Der siebte Schrein
Heisa.« Sie sah Abby in die Augen. »Ich werde dem Ersten Zauberer deine Worte überbringen.«
»Herrin.« Abby drehte sich um und sah, daß die alte Frau aufgestanden war. »Ich wäre ebenfalls sehr froh, den Ersten Zauberer zu sprechen.«
Die drei Männer erhoben sich. Der älteste, der offenbar Herr und Meister der drei war, betrachtete die Hexenmeisterin mit einem Blick so bar jeder Schüchternheit, daß es an Verachtung grenzte. Sein langes graues Haar fiel nach vorne über sein Samtgewand, als er die Reihe der sitzenden Leute musterte, als wollte er sie herausfordern, aufzustehen. Da alle sitzen blieben, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Hexenmeisterin zu.
»Ich will Zauberer Zorander sprechen.«
Die Hexenmeisterin musterte die Aufgestandenen und sah die Reihe der Bittsteller auf der Bank an. »Der Erste Zauberer hat sich einen Beinamen verdient: Wind des Todes. Viele von uns fürchten ihn nicht weniger als unsere Feinde. Noch jemand, der das Schicksal herausfordern möchte?«
Niemand von denen auf den Bänken brachte den Mut auf, dem scharfen Blick zu begegnen. Bis auf den letzten Mann schüttelten sie alle stumm die Köpfe. »In Kürze wird jemand kommen und Sie zu einem Zauberer führen.« Sie betrachtete erneut die Fünf, die aufgestanden waren. »Sind Sie alle Ihrer Sache sehr, sehr sicher?«
Abby nickte. Die alte Frau nickte. Der Edelmann sah finster drein.
»Nun gut. Dann kommt mit mir.«
Der Adlige und seine beiden Männer traten vor Abby. Die alte Frau schien damit zufrieden zu sein, ihren Platz am Ende der Schlange einzunehmen. Sie wurden durch schmale Flure und breite Korridore, manche dunkel und manche von erstaunlicher Pracht, tiefer in die Feste geführt. Überall standen Soldaten der Bürgerwehr, deren Brustplatten und Kettenpanzer rote Tuniken bedeckten, die mit schwarzen Säumen eingefaßt waren. Alle waren mit Schwertern oder Streitäxten bewaffnet und besaßen obendrein Messer, viele trugen zusätzlich Speere mit Spitzen und Widerhaken aus Stahl.
Am oberen Ende einer breiten weißen Marmortreppe öffneten sich die Steingeländer spiralförmig zu einem Raum mit anheimelnder Eichentäfelung. An mehreren der vorstehenden Paneele befanden sich Lampen mit polierten silbernen Spiegeln. Auf einem dreibeinigen Tisch stand eine Lampe mit zwei Schirmen aus geschliffenem Glas, deren Flammen das weiche Licht der Spiegel ergänzten. Ein dicker Teppich mit verschnörkeltem blauem Muster bedeckte fast den gesamten Holzboden.
Auf jeder Seite einer Doppeltür stand ein makellos gekleideter Soldat der Bürgerwehr. Beide Männer waren gleichermaßen hünenhaft. Sie sahen aus, als wären sie mehr als fähig, mit sämtlichen Gefahren fertig zu werden, die die Treppe heraufkommen mochten.
Die Hexenmeisterin nickte zu einem Dutzend prall gepolsterter Ledersessel in vier Gruppen. Abby wartete, bis sich die anderen für zwei Gruppen entschieden hatten, und nahm dann allein auf einer anderen Platz. Sie legte den Sack auf den Schoß und ließ die Hände auf seinem Inhalt ruhen.
Die Hexenmeisterin nahm eine steife Haltung ein. »Ich werde dem Ersten Zauberer mitteilen, daß er Bittsteller hat, die ihn sprechen wollen.«
Ein Soldat öffnete eine Hälfte der Doppeltür für sie. Als sie den großen angrenzenden Raum betrat, konnte Abby einen raschen Blick hineinwerfen. Sie konnte sehen, daß er von verglasten Oberlichtern gut ausgeleuchtet wurde. Im grauen Stein der Wände befanden sich weitere Türen. Bevor die Tür ins Schloß fiel, konnte Abby eine Anzahl anderer Leute sehen, sowohl Männer als auch Frauen, die alle hierhin und dorthin huschten.
Abby saß von der alten Frau und den drei Männern abgewandt, während sie mit einer Hand müßig den Sack auf ihrem Schoß streichelte. Sie befürchtete nicht, daß die Männer sie ansprechen könnten, aber sie wollte nicht mit der alten Frau reden; das wäre eine Ablenkung. Sie vertrieb sich die Zeit damit, sich in Gedanken zurechtzulegen, was sie dem Zauberer Zorander sagen wollte.
Wenigstens versuchte sie darüber nachzudenken. Was die Hexenmeisterin gesagt hatte, ging Abby nicht mehr aus dem Kopf, daß nämlich der Erste Zauberer der Wind des Todes genannt wurde, und zwar nicht nur von den Bewohnern von D´Hara, sondern auch von seinem eigenen Volk aus den Midlands. Abby wußte, daß das kein Ammenmärchen war, um Bittsteller von einem vielbeschäftigten Mann fernzuhalten. Abby selbst hatte schon gehört, wie Leute ihren großen Zauberer flüsternd
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