Der siebte Schrein
Treppe, drängte sie vorwärts und folgte den beiden Männern nach unten. Scharlachrote Tropfen fielen auf die weißen Marmorstufen, als sie hinuntergingen. Abby saß steif und blaß vor Schock da.
Die Hexenmeisterin wirbelte zu Abby und der alten Frau herum.
Die Frau erhob sich. »Ich glaube, ich werde den Ersten Zauberer heute lieber nicht behelligen. Ich werde an einem anderen Tag wiederkommen, sollte es erforderlich sein.«
Sie beugte sich zu Abby hinüber. »Ich heiße Mariska.« Sie runzelte die Stirn. »Mögen die guten Geister dafür sorgen, daß du erfolgreich bist.«
Sie schlurfte zur Treppe, legte eine Hand auf das Marmorgeländer und schritt hinab. Die Hexenmeisterin schnippte mit den Fingern und gab dem verbliebenen Wachsoldaten ein Zeichen. Er sputete sich, die alte Frau zu begleiten, während die Hexenmeisterin sich zu Abby umdrehte.
»Der Erste Zauberer wird dich jetzt empfangen.«
Abby verschluckte sich beim Luftholen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, als sie aufstand.
»Was ist passiert? Warum hat der Erste Zauberer das getan?«
»Der Mann war im Auftrag eines anderen geschickt worden, um dem Ersten Zauberer eine Frage zu stellen. Der Erste Zauberer hat geantwortet.«
Abby drückte den Sack an sich, als hinge ihr Leben davon ab, während sie das Blut auf dem Boden betrachtete. »Könnte das auch die Antwort auf meine Frage sein, wenn ich sie stelle?«
»Ich weiß nicht, was für eine Frage du stellen willst.« Zum erstenmal wurde die Miene der Hexenmeisterin ein klein wenig sanfter. »Möchtest du, daß ich dich hinausbringe? Du könntest einen anderen Zauberer aufsuchen oder, wenn du etwas eingehender über dein Anliegen nachgedacht hast und es dann immer noch willst, an einem anderen Tag wiederkommen.«
Abby kämpfte mit Tränen der Verzweiflung. Es gab keine andere Wahl. Sie schüttelte den Kopf. »Ich muß ihn sehen.«
Die Hexenmeisterin gab einen Stoßseufzer von sich. »Nun gut.« Sie hielt eine Hand unter Abbys Arm, als müßte sie sie stützen. »Der Erste Zauberer wird dich jetzt empfangen.«
Abby drückte den Inhalt ihres Sacks an sich, als sie in die Kammer geführt wurde, wo der Erste Zauberer wartete. Fackeln in gußeisernen Halterungen brannten noch nicht. Der Spätnachmittagssonnenschein, der durch die verglasten Dachfenster einfiel, reichte noch aus, das Zimmer zu erhellen. Es roch nach Pech, Lampenöl, gebratenem Fleisch, nassem Stein und altem Schweiß.
Im Inneren herrschten Durcheinander und Aufruhr. Überall waren Leute, und alle schienen auf einmal zu reden. Auf rustikalen Tischen, die ohne ersichtliches Muster in dem Raum verteilt waren, drängten sich Bücher, Schriftrollen, Karten, Kreide, nicht angezündete Öllampen, brennende Kerzen, halb aufgegessene Mahlzeiten, Siegelwachs, Federkiele und ein Wirrwarr von allen möglichen seltsamen Gegenständen, von Bällen verknoteter Schnurstücke bis zu halb ausgeschütteten Sandsäcken. Um die Tische standen Leute herum, die sich unterhielten oder miteinander stritten, während andere auf Abschnitte in Büchern deuteten, über Schriftrollen grübelten oder kleine bemalte Gewichte auf den Karten verschoben. Andere rollten Scheiben gebratenen Fleisches von den Tellern zusammen und knabberten daran, während sie zusahen oder zwischen zwei Bissen ihre Meinung zum besten gaben.
Die Hexenmeisterin, die Abby immer noch unter dem Arm hielt, beugte sich zu ihr, während sie sich ihren Weg bahnten. »Du wirst die geteilte Aufmerksamkeit des Ersten Zauberers haben. Andere Leute werden gleichzeitig mit ihm reden. Laß dich nicht ablenken. Er wird dir zuhören und gleichzeitig anderen zuhören oder mit ihnen reden. Beachte die anderen einfach gar nicht, und stell ihm die Frage, die zu stellen du gekommen bist. Er wird dich hören.«
Abby war baff. »Während er mit anderen Leuten redet?«
»Ja.« Abby spürte, wie die Hand leicht ihren Arm drückte. »Versuche, ruhig zu sein und nicht danach zu urteilen, was vor dir geschehen ist.«
Das Töten. Das hatte sie gemeint. Jener Mann war gekommen, um mit dem Ersten Zauberer zu sprechen, und war dafür getötet worden. Und das sollte sie so einfach vergessen? Als sie den Kopf senkte, stellte sie fest, daß sie durch eine Blutspur schritt. Den geköpften Leichnam konnte sie nirgendwo entdecken.
Ihr Armreif kribbelte, und sie sah darauf hinab. Die Hand unter ihrem Arm veranlaßte sie, stehenzubleiben. Als Abby aufschaute, sah sie ein verwirrendes Knäuel von Leuten vor sich.
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