Der siebte Schrein
uns in diesem Gelände besiegen kann. Ich glaube etwas anderes. Er weiß, daß wir nicht dulden können, daß die Bedrohung dort bleibt, und er kennt unsere Pläne. Er will mich hinlocken, töten und die Bedrohung beenden, die ich allein für sie darstelle.«
»Also . . .«, überlegte der Offizier laut, »wollt Ihr damit sagen, daß sich das Risiko aus Anargos Sicht lohnt.«
Zedd ließ den Blick erneut über die Stadt unter der Feste der Zauberer schweifen. »Wenn Anargo recht hat, könnte er bei Coney Crossing den Endsieg davontragen. Wenn er mich ausgeschaltet hat, wird er seine Begabten von der Leine lassen, die Mehrheit unserer Streitmacht an einer Stelle niedermetzeln und dann praktisch ohne Gegenwehr ins Herz der Midlands vorstoßen: Aydindril.
Anargo hat vor, mich zu töten, unsere gemeinsame Armee aufzureiben, die Menschen der Midlands in Ketten zu legen und Panis Rahl die Peitsche zu übergeben, noch bevor der erste Schnee fällt.«
Der Offizier starrte ihn bestürzt an. »Und Ihr habt vor, genau das zu tun, was sich Anargo erhofft, dorthin zu gehen und Euch ihm zu stellen?«
Zedd zuckte die Achseln. »Welche Wahl habe ich?«
»Und wißt Ihr wenigstens, auf welche Weise Anargo Euch töten will, damit wir Vorkehrungen treffen können? Gegenmaßnahmen?«
»Ich furchte, nein.« Er winkte achtlos mit der Hand und beendete das Gespräch. Er wandte sich an Abby. »Die Lanzenreiter haben schnelle Pferde. Wir werden reiten, was das Zeug hält und deine Heimat bald erreicht haben - wir werden rechtzeitig dort sein - und uns dann um unsere Angelegenheit kümmern.«
Abby nickte nur. Sie konnte weder der Erleichterung über die Gewährung ihrer Bitte Ausdruck verleihen, noch die Scham darüber in Worte fassen, daß ihr Gebet erhört worden war. Am schlimmsten aber fand sie, daß sie nicht dem Entsetzen darüber Luft machen konnte, was sie tat, denn sie kannte die Pläne der D´Haraner.
Fliegen schwärmten um getrocknete Fetzen von Eingeweiden, und mehr war nicht mehr von Abbys preisgekrönten Bartschweinen übrig. Offenbar waren selbst die Zuchttiere, die Abbys Eltern ihr als Hochzeitsgeschenk gegeben hatten, abgeschlachtet und gestohlen worden.
Abbys Eltern hatten auch den Mann für sie ausgesucht. Abby hatte ihn vorher nie kennengelernt: Er stammte aus der Stadt Lynford, wo ihre Mutter und ihr Vater die Schweine kauften. Abby war außer sich vor Nervosität gewesen, wen ihre Eltern ihr als Mann aussuchen würden. Sie hatte gehofft, daß es ein fröhlicher Mann sein würde - ein Mann, dem selbst die Schwierigkeiten des Lebens ein Lächeln entlocken konnten.
Als sie Philip zum erstenmal sah, glaubte sie, daß er der ernsteste Mann der Welt sein mußte. Sein jugendliches Gesicht sah aus, als hätte er nicht einmal gelächelt. In der Nacht nach ihrer ersten Begegnung hatte sie sich in den Schlaf geweint beim Gedanken, ihr Leben mit einem so ernsten Mann verbringen zu müssen. Sie glaubte, daß ihr Leben von den spitzen Zinken eines grimmigen Schicksals aufgespießt wurde.
Abby fand heraus, daß Philip ein schwer arbeitender Mann war, der das Leben mit einem breiten Grinsen betrachtete. Später erfuhr sie, daß er an jenem ersten Tag, als sie ihn kennenlernte, nur deshalb ein so ernstes Gesicht gemacht hatte, damit seine neue Familie ihn nicht für einen Taugenichts hielt, der ihrer Tochter nicht würdig war. Binnen kurzer Zeit wußte Abby, daß Philip ein Mann war, auf den sie sich verlassen konnte. Als Jana geboren wurde, liebte sie ihn.
Und nun waren Philip und so viele andere von ihr abhängig.
Abby säuberte sich die Hände, nachdem sie die Gebeine ihrer Mutter erneut zur Ruhe gebettet hatte. Sie sah, daß die Zäune, die Philip so oft ausgebessert hatte, allesamt niedergerissen worden waren. Als sie um das Haus herumkam, stellte sie fest, daß das Scheunentor fehlte. Alles, was Mensch oder Tier essen konnten, war verschwunden. Abby konnte sich nicht erinnern, daß sie ihr Zuhause jemals so ausgeplündert gesehen hatte.
Spielt keine Rolle, sagte sie sich. Es spielte keine Rolle, wenn nur Jana zu ihr zurückgebracht wurde. Zäune konnte man ausbessern. Schweine konnte man irgendwie ersetzen, eines Tages. Jana konnte man nie ersetzen.
»Abby«, fragte Zedd, während er die Ruine ihres Hauses in Augenschein nahm, »wie kommt es, daß dein Mann und deine Tochter und alle anderen gefangengenommen wurden, nur du nicht?«
Abby trat durch den zerbrochenen Türrahmen ein und fand, daß ihr Haus noch nie
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