Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
herausschossen, eines nach dem anderen, und Mina schlug beide Arme vor den Kopf, als sie über ihr gegen die Wand polterten.
Sie musste versuchen, den Ausgang zu erreichen. Irgendeinen. Auf den Knien rutschte sie an der Wand entlang, ein winziges Stückchen nach dem anderen. Es klirrte und rasselte in der Luft, als ein Schwarm von glitzernden, länglichen Dingen den Flur hinaufsirrte; Mina stockte der Atem, als fingerlange eiserne Nägel sich dicht vor ihren Knien in den Boden bohrten. In ihrem Inneren wimmerte sie.
Die andere Richtung, den anderen Weg. Mühsam kroch sie wieder zurück, duckte sich unter fliegenden Möbelteilen, hustete, keuchte. Am anderen Ende des Flurs musste die Vordertür sein, oder nicht? Aber da hinunter hatte es sie doch zerren wollen, eben noch …
Sie kroch weiter, ihr blieb keine Wahl. Aus dem Finstern traf etwas sie seitlich am Kopf, auf dem Wangenknochen, und die Haut platzte auf. Als es zu Boden polterte, sah sie, dass es eine Türklinke war, vom Feuer in eine verdrehte Form geschmolzen. Die Wunde pochte und brannte.
Mina biss die Zähne aufeinander und schob sich weiter durch den Flur. Rechts eine neue Türöffnung, wirbelnde Schatten dahinter. Sie krümmte sich noch kleiner zusammen und kroch daran vorbei, so leise sie konnte. Links ein verkanteter, riesiger Schatten, der halb den Flur versperrte; sie hielt den Atem an, als sie sich an dem vorbeischob, was ein Schrank gewesen sein musste. Ein Zittern schien durch das verkohlte Holz zu laufen. Es knarrte, als sie eine Kante
versehentlich mit dem bloßen Arm streifte. Mina machte sich noch schmaler.
Krabbel nur, krabbel nur, hässliches Menschengezücht! Es wird dir nichts nützen. Dies ist mein Haus, mein Haus! Ich finde dich, wo du dich auch versteckst.
Der Schrank ruckte einmal, dann war sie daran vorbei, und er blieb liegen wie ein erschöpftes Tier. Salziger Schweiß rann Mina in die Augen. Sie presste das Bündel mit der Spieluhr noch fester an sich.
Eine neue Türöffnung kam langsam in Sicht, nach links, wo die Vorderseite des Hauses sein musste. Sie schien schmaler und niedriger zu sein als die anderen. Keine bewegten Schatten malten sich dort auf den Boden, und Mina kam es so vor, als ob es dort stiller wäre. Vorsichtig kroch sie darauf zu.
Es war nicht mehr als eine Kammer, ein alter Abstellraum vielleicht. Die gesprungenen Fliesen glänzten im Mondlicht, das durch ein einziges schmales Fenster fiel. Erleichtert sah Mina, dass es hier keine Möbel gab, nicht einmal Reste von ihnen. Während hinter ihr schwere Gegenstände gegen die Wände schlugen, regte sich dort nichts, nicht einmal der Staub.
Dicht unter dem Fenster lag etwas, das sie zuerst für einen tieferen Schatten hielt. Aber es warf Falten, und als sie näher an der Türöffnung war, sah sie, dass es weich sein musste wie Stoff; wie eine Decke, die jemand schlecht zusammengefaltet hatte. Und davor, in der Mitte des Raums - dort war noch etwas anderes, Kleines. So zart, dass es fast keine Schatten warf.
Mina sog die beißende Luft ein, hustete, verschluckte sich.
Es war ein Vogelgerippe.
Der kleine weiße Schädel lag seitlich, die schmalen Flügel ausgebreitet. Helle, lose Federn glänzten schwach zwischen den winzigen Knochen. Als wollte sich ein Vogelgeist jeden Moment in die Luft erheben. Minas Lippen begannen zu zittern. Bilder rauschten in der Dunkelheit an ihren Augen vorbei, leuchtendes Gelb und stumpfes Braun. Wie von selbst krochen ihre Knie auf das Skelett zu.
Da waren noch andere Dinge in der Nähe. Sie waren so klein, dass Mina sie erst wirklich wahrnahm, als eines von ihnen unter ihrer Hand ein leises, zirpendes Knirschen von sich gab und sie zusammenzuckte. Ein Steinchen, ein Flusskiesel, rund gewaschen. Dahinter noch eins, und noch eins dort drüben. Waren es Gräser, die dazwischenlagen, vom Luftzug durcheinandergebracht? Gräser, oder Wiesenblumen an langen Stängeln … Und die losen Federn, so sorgsam zwischen den kahlen Flügelknochen angeordnet, kürzere, längere, breitere, schmale - sie stammten nicht von einem einzigen Tier.
Jemand hatte dem toten Vogel Geschenke gebracht.
In all dem schrecklichen Lärm, in all der Angst, die in ihr raste, fühlte Mina, dass ihre Augen feucht wurden. Eine erste Träne lief ihr über die Wange, brannte in der Wunde, die die Türklinke geschlagen hatte.
Als sie lautlos auf den Fliesenboden fiel, verstummte das Haus. Irgendwo polterte noch etwas zu Boden, Putz rieselte raschelnd; dann summte
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