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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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runzelte kurz die
Stirn, drehte eine Haarsträhne nachdenklich zwischen den Fingern. Dann glätteten sich die Falten, und sie sang:
    » Oh zertritt die Blume nicht / Hör nur, was sie zu dir spricht / Lass mich leben im Frühling so lind / Niemand schützt mich vor Kälte und Wind / Bin ja, wie du, ein Taterkind. «
    Luluya, die Blume … Wie hübsch das war. Tonlos versuchte Mina, die letzte Zeile des Liedes mit den Lippen nachzuformen, so wie Rosa sie zuerst gesungen hatte. Sam aiso romani cai … Romani? Sie sprach das Wort lautlos und deutete schüchtern auf Rosa.
    » Roma «, antwortete Rosa und nickte.
    Roma , wiederholte Mina stumm. Roma Rosa . Und dann, während ihr das Blut ins Gesicht stieg: Rosa - luluya …
    Rosa klatschte ganz leise in die Hände.
    »Gut, gut! Und - wie lieb von dir, Mina …« Sie lächelte, so verlegen, wie Mina sich fühlte. Aber sie fing sich schnell. »Da kannst du es sehen«, flüsterte sie, »du bekommst nicht ein Wort heraus und sprichst schon besser die Tatersprache, als die meisten Gadsche es in ihrem ganzen Leben tun. Und von den Zinken«, sie zeigte auf den Stein, »verstehst du auch schon etwas. Wie hast du es nur so lange an einem Fleck aushalten können, bei dir zu Haus auf dem Gut?«
    Es war ein Scherz, ein liebevolles Necken. Mina wusste es, und doch fühlte sie so etwas wie Stolz. Sie neigte den Kopf in einer Art Verbeugung und war dankbar für die Haare, die ihr dabei ins Gesicht fielen.
    Rosa tat so, als bemerkte sie es nicht.
    »Komm«, sagte sie und schlug ihr leicht aufs Knie, »wenn wir schon den ganzen Tag hier hocken müssen, können wir auch gleich eine fleißige Taterin und eine fleißige Gutshaustochter
sein. Dein Kleid fällt ganz auseinander. Wenn du noch Stoff von Lilja hast, helfe ich dir beim Flicken.«
    Sie holten Nadel und Faden aus ihren Bündeln, und auch wenn sie in einem Gebüsch an einem Wegrand saßen und an einem zerschlissenen Kleid flickten, was eine von ihnen noch auf dem Leib trug - ein paar Stunden lang waren sie nicht mehr als zwei Mädchen bei der Handarbeit. Rosa sang das Lied von der Blume, und sie sang es so oft, bis Mina jede Zeile in beiden Sprachen nachsingen konnte, wenn dabei auch kein Laut herauskam. Und langsam, zäh und unmerklich, sank der Tag dahin.
    Erst als Mina sich zum dritten Mal in den Daumen stach, fiel ihnen auf, wie schwach das Licht geworden war. Sie steckten die Nadeln weg; Minas Rock glänzte jetzt so bunt, dass kaum noch schwarz zu sehen war. Sie schüttelte ihn auf, sammelte einen kleinen Käfer aus den Falten und pustete ihn zwischen die Blätter.
    »Was denkst du«, fragte Rosa, »sollen wir es bald versuchen? Zum Haus zurückgehen, meine ich? Und sehen, was wir herausfinden können?«
    Unwillkürlich fasste Mina an die flache Erhebung unter ihrem Kleid, wo das Medaillon auf ihrer Haut lag. Das Metall hatte sich an ihrem Körper so erwärmt, dass sie fast keinen Unterschied fühlen konnte. Wie ein Teil von ihr ruhte es auf ihrer Brust. Sie nickte.
    Sie warteten noch das Ende der Dämmerung ab, das Grau, das sich in Schatten auflöste. Es war schwerer, dem Weg im Dunkeln zu folgen, aber das rote Dach ragte so hoch über den Bäumen auf; blicklos schien es in jeden Winkel zu spähen. Sie drückten sich hintereinander am Wegrand entlang, Nesseln zerkratzten ihre Waden. Bis die
Mauer schwarz vor ihnen in die Höhe wuchs, in Finsternis und Stille.
    Wenn dahinter Lichter angezündet waren, sahen sie sie nicht von dort, wo sie standen, zwischen Sträuchern geduckt, ein Dutzend Schritte vom Tor entfernt. So schweigend, wie es in den Steinen ruhte, schien es sich den ganzen Tag nicht in seinen Angeln gerührt zu haben.
    »Vielleicht«, wisperte Rosa in das hohle Klagen eines Nachtvogels hinein, »ist es ja verlassen?«
    Aber Mina erinnerte sich an die glänzenden Ziegel auf dem Dach, unversehrt und ohne Lücken, und schüttelte den Kopf. Und als sie bis zur Mauer schlich und den Knauf mit flatternden Fingern zu drehen versuchte, war das Tor fest verschlossen wie zuvor.
    Rosa war ihr gefolgt, sie drückten sich weiter an der Mauer entlang, in dem tieferen Schatten, den sie auf die Erde fallen ließ. Die Bäume hielten Abstand zu den Steinen. Nur einer, eine junge Eiche, schien dem Rat der Alten nicht gefolgt zu sein. Sein Stamm lehnte sich gegen das Mauerwerk, als ob er zu träge wäre, die Last der Krone alleine zu tragen.
    Mina ging darauf zu. Sie wusste nicht genau, warum sie es tat. Aber als sie die Hände um die

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