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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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spiegelten, schienen stillzustehen.
    Mina legte einen Finger an die Lippen.
    Eine Frau, die strähnigen Haare zum Vogelnest getürmt, erwiderte die Geste.
    Niemand sonst bewegte sich, als Mina über den Rasen auf das gläserne Gebilde zuging. Nur die Blicke folgten ihr schweigend.
    Als Mina die Hände auf das Glas legte, klopfte ihr Herz zum Zerspringen. Die Scheibe beschlug unter ihrem Atem, sie wischte und rieb, und die feinen Einfassungen knackten unter ihrer Bewegung. Dunkle Blätter schmiegten sich von
innen gegen das Glas, so nah, dass sie die zarten Adern sehen konnte. Dahinter schimmerte es sanft.
    Eine lange Zeit sah sie, ohne zu verstehen. Sah, was die Menschen auf den Bänken angesehen hatten, bevor sie erschienen war wie ein Gespenst aus dem Holunder. Sah reglos, lautlos wie sie.
    Der Boden des Glashauses war ein künstlicher Teich. Sie konnte Seerosen erkennen, Schilf an den kleinen Ufern, Sumpfdotterblumen, die die Köpfchen neigten. Und überall auf dem Wasser weiße Formen, wie seltsame Spiegelungen der Nachthemden in Minas Rücken. Aber das waren sie nicht.
    Schwäne glitten über den künstlichen Teich, durch Schilf und über die Seerosen hin. Schwäne beugten die langen Hälse, zupften an Halmen, glätteten sich das Gefieder. Schwäne hockten an den Ufern, zwischen den wuchernden Pflanzen, das Weiß ihrer Federn leuchtete wie Schnee auf den Blättern. Zwanzig, fünfundzwanzig. Der Teich war nicht groß genug, um sie alle zu fassen.
    Sie bewegten sich fast ohne ein Geräusch. Mina konnte das Wasser hören, das Rascheln der Pflanzen, wenn die Schwingen sie streiften. Irgendwo musste es Spalten im Glas geben, die offen standen und Luft hereinließen; sie dachte flüchtig daran, mit beinahe absurder Klarheit mitten in dem namenlosen Staunen, das sie erfüllte. Aber von den Schwänen hörte sie keinen Laut. Still trieben sie dahin.
    Nur in einem Winkel entdeckte Mina Grau zwischen all dem Weiß. Ein junges Tier kauerte zwischen zwei Großen, den Kopf unter dem Flügel vergraben, die Schwanzfedern gegen das Glas gepresst. Als würde die Scheibe nachgeben, irgendwann, unter dem zarten Druck …

    Minas Brust zog sich zusammen.
    »Möchten Sie Tee trinken im Garten?«
    Die Stimme war so sanft und leise, dass Mina kaum erschrak. Als sie sich umdrehte, stand die Frau mit dem Vogelnesthaar neben ihr und sah sie fragend an. Sie schien nicht im mindesten verwundert zu sein über das Mädchen, das aus dem Holunderbaum gefallen war.
    Verwirrt blickte Mina zu den Bänken. Niemand trank Tee. Sie saßen nur da, jeder für sich. Außer der Frau schien keiner sich bewegt zu haben. Aber ihre erhobene Hand deutete auch nicht zu den Bänken. Sie zeigte zum Haus. Eine Terrassentür stand offen.
    Aber, dachte Mina, aber hier ist doch der Garten, und dort das Haus …?
    Zögernd hob sie die Schultern. Die Frau lächelte. Ihre Augen schienen klarer als die der anderen auf den Bänken, und sie sprach so ruhig, so vernünftig. Vielleicht war sie eine Art Schwester? Aber warum ließ sie Minas plötzliches Erscheinen dann so ungerührt?
    Mina blickte zum Haus hinüber.
    Dann nickte sie.
     
    Im ersten Augenblick glaubte sie, auf irgendeine unerklärliche Weise zurück in eines der Rapsfelder geraten zu sein. Gleich hinter der Tür strömte Gelb auf sie ein, so kräftig nach den blassen Farben draußen, dass sie nach Luft rang. Aber der bittere Geruch fehlte, und als sich ihre Augen an den Raum gewöhnt hatten, sah sie, dass es Hunderte von Papierblumen in allen Größen waren. Sie hingen an den Wänden, lagen auf den Tischen. Und überall saßen Menschen in Nachthemden, die noch mehr von ihnen falteten.

    »Bitte«, sagte die Frau mit formvollendeter Höflichkeit, »unser Garten. Ist er nicht wunderschön?«
    Wie schnell sich die vielen Hände bewegten. Wie sicher sie die richtigen Stellen zum Falten fanden.
    Wie lange mochten sie sich schon so beschäftigen?
    Die Frau lächelte Mina immer noch abwartend an, und vage nickte sie. Was sollte sie sonst tun?
    Die Papierblumen häuften sich auf den Tischen. Kam manchmal jemand, um sie fortzubringen, Platz zu schaffen für neue? Wurden sie in kleine Glasvasen gestellt und im Haus verteilt?
    »Und, meine Liebe, was möchten Sie trinken?« Die Frau schien Minas Verwirrung nicht zu bemerken. Zierlich legte sie den Vogelnestkopf schief. »Welche Sorte Tee bevorzugen Sie? Oder soll es lieber Kaffee sein? Oh nein, für Kaffee sind Sie sicher noch zu jung.« Sie lachte, glöckchenhell und

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