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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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sie wirkten eher wie umsichtige Kellner als wie Pfleger. Zwei von ihnen lehnten an der Hausecke und teilten sich eine heimliche Pfeife. Ein gebeugter Großvater wurde am Arm eines anderen Kittels um eine Blumenrabatte spazieren geführt. Kinder stürzten sich jauchzend in die offenen Arme einer Frau, die eben aus der Eingangstür trat. Buntes, durcheinanderwimmelndes Leben.
    Nur ganz allmählich nahm Mina auch die anderen Dinge wahr: Es gab viel mehr weiße Kittel als Menschen in Straßenkleidung. Und wen sie so sanft und umsichtig führten, der ging dorthin, wohin sie ihn brachten. Der Großvater bei dem Blumenbeet wirkte so sehr gebückt, als könnte er sich kaum noch auf den Beinen halten zwischen den kräftigen Armen der Pfleger … Der Mann, der die Frau mit den Kindern begrüßte, vermied es, sie zu berühren, er reichte ihr nicht einmal den Arm.
    Mina presste die Stirn fester gegen die Eisenblätter. In den kleinen Menschengruppen waren es die Weißbekittelten, die lachten und redeten. Viele Köpfe unter Straßenhüten waren gesenkt wie in der Kirche. Dort drüben, der Mann im schäbigen Anzug, der abseits stand - war es nicht ein zerknülltes Taschentuch, was er unter der Hutkrempe gegen die Augen drückte? Und die hohen Fenster in allen Stockwerken, fanden sich nicht eigentümliche Schatten und Spiegelungen in ihnen? Wie von schlanken Metallstäben, inwendig angebracht? Vergitterte Fenster, bis in den obersten Stock …

    Sie rieb sich die fröstelnden Arme.
    Niemand sah zu ihr herüber. Es wäre auch schwer gewesen, sie hinter dem Zaun zu entdecken; die Verzierungen waren so eng miteinander verflochten, dass die Lücken gerade groß genug zum Hindurchschauen waren, wenn man sich dicht an den Zaun stellte, wie sie es tat. Keine Einzige war weit genug, um den Fuß hineinzuschieben, und oben warteten dazu die Dornenspitzen.
    Mina atmete aus. Einen Moment lang fühlte sie so etwas wie Erleichterung. Keine unverschlossene Hintertür. Ein Zaun, der sich nicht erklettern ließ. Und viel zu viele Menschen vor dem Gebäude. Der einzige Weg hinein schien durch die Vordertür zu führen; und niemand auf der Welt hätte von ihr verlangen können, dass sie diesen Weg nahm, mitten in die Schar der weißen Kittel hinein.
    Sie hätte fortgehen können. Es wäre nicht einmal unbedingt ein Aufgeben gewesen. Sie konnte gehen und nach den Tatern suchen, mit ihnen beraten, was es vielleicht doch noch zu tun gab. Tausendschön mochte eine Stelle finden, an der es sich durch den Zaun schlüpfen ließ, wenn man ein biegsamer Kater war. Lilja mochte Zaubersprüche kennen, die die Augen der Weißkittel benebelten oder Gitterstäbe in Wachs verwandelten. Es wäre nur vernünftig gewesen.
    Mina blieb stehen.
    Als sie den Kopf zurückbog, um wieder zu den eisernen Spitzen aufzusehen, klebte die Haut ihrer Stirn kurz am Metall fest, und es ziepte. Jetzt roch sie auch die frische Farbe, schwach nur noch, aber immer noch wahrnehmbar. Es war nicht lange her, dass der Zaun in seinem tiefen, satten Schwarz gestrichen worden war.

    Vorsichtig löste sie die Finger aus den Ranken, an jedem ziepte es kurz. Flecken fand sie keine, der Anstrich war schon angetrocknet. Als sie die Länge des Zauns entlangblickte, erst in die eine Richtung, dann in die andere, sah sie überall den Schimmer frischer Farbe.
    Nur links, ein gutes Dutzend Meter entfernt, wurde das schwarze Glänzen allmählich matter. Dort führte der Zaun auf das Haus zu, verschwand mit einer weißen Mauerecke zur Hinterseite. Dicht bei der Biegung schienen die Ranken weicher, beinahe beweglich zu sein.
    Die junge Eiche kam Mina in den Sinn, die Eiche, die ihr ins Waisenhaus geholfen hatte. Langsam ging sie den Zaun entlang, vom Weg fort, über eine Wiese. Der frische Anstrich endete früher, als sie es erwartet hatte; die Finger, die sie über das Metall streichen ließ, rieben sich nach ein paar Metern an brüchigem Rost. Man war noch nicht gar so weit gekommen mit der Erneuerung. Sie fand sogar einen Farbeimer, fest verschlossen, der offenbar auf seinen weiteren Einsatz wartete.
    Je weiter sie ging, desto größer wurden die rostigen Stellen. Wie eine seltsame Art Pilz blühten sie auf dem Metall und atmeten kupferfarbene Wolken aus, wenn sie sie berührte. Abgeblätterte Farbe lag in braunen Streifen im Gras. Farbe und …
    Sie bückte sich, nahm die kleine, runde Perle mit zwei Fingern auf. Mattschwarz war sie, wie der Zaun. Aber die Oberfläche war schrumpelig und weich, sie

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