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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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reiner, scharfer Geruch, der in der Nase stach.
    Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte wie er die Arme.
    »Nun, nun.« Er ließ die Hand sinken, aber sein Gesicht zeigte nichts von Bedauern. Seine Augen funkelten - oder waren das auch nur die Gläser der Brille? Es machte kaum einen Unterschied.
    »Nun, du fürchtest dich immer noch. Das musst du nicht, mein Kind. Es wird alles gut werden, wenn du mir vertraust. Hier kümmert man sich um dich. Ich bin spezialisiert auf solche Fälle wie deinen. Ja, ich glaube, das kann man so sagen. Ich habe Methoden entwickelt, Systeme. Erfolge, die auch dir zugutekommen werden. Du musst nur Vertrauen haben, Mina.«
    Wie schön er die Worte setzte. Wie sicher er sich in ihnen fühlte.
    Wie es das innere Glühen anfachte, ihm zuzuhören.
    Sie sah zu ihm auf. Die Brille bedeckte beinahe sein ganzes Gesicht, und in ihren Gläsern war sie kleiner als ein Kind. Kein dicker Kleiderstoff, der ihre dünnen, zitternden Arme versteckte. Seine Hände waren größer als ihre bloßen, schmutzigen Füße auf dem kalten Boden. Sie sah zu ihm auf, ganz ruhig, und noch immer redete er, umflossen, umfangen von den eigenen Worten wie von einem schillernden Dunst.
    »Du kannst natürlich nicht verstehen, was mit dir nicht stimmt, mein liebes Kind. Es liegt in der Natur dieser Dinge, dass derjenige es nicht versteht, der davon befallen ist. Wie ein hässlicher, roter Ausschlag, den man selbst nicht spürt, der jedem anderen aber sofort ins Gesicht springt.
Hier können wir dich davon befreien. Dann wirst du wieder mit einem hübschen Lächeln herumgehen, wäre das nicht schön?«
    Es gab kein Fenster in diesem Raum. Nur die bunten Schaubilder und Tafeln. Aber irgendwo über ihr, unter ihr mussten Wurzeln sein. Wurzeln, die darum kämpften, Bäume zu werden. Wurzeln, feiner als ein Haar, die Wasserrohre aus Blei zersprengen konnten. Wurzeln, und verborgene Samen, vergessene Körner, Vögeln aus dem Schnabel gefallen vor endloser Zeit. In der Erde zwischen Steinfugen lagen sie und schliefen und träumten vom Licht. Und irgendwann, in hundert Jahren vielleicht, die ihnen nur Augenblicke waren, würden sie erwachen. Der steinerne Raum mit seinen Lampen war nicht mehr als ein winziger Fremdkörper in einem riesigen, atmenden Leib. Ein Splitter in einem Daumen.
    Sie konnte das Land nicht sehen - weil sie in ihm geborgen war. So, wie das Land in ihr. Und die glühenden, brennenden Ranken des Zorns erhoben sich aus seiner Tiefe.
    Sie ließ den Blick um eine Haaresbreite wandern, horchte in sich hinein. Zwischen den glimmenden Ranken ruhte das Wissen, so sicher und tief, als hätte es immer schon dort gelegen.
    Sie musste das Land nicht rufen. Es war bereits da.
    »Nein, nein«, sagte er, der ihre Geste missverstand, »du brauchst dich nicht zu schämen. Ich sagte doch, ich vergebe dir.«
    Wieder diese weite, freundliche Armbewegung von ihm, aber sie achtete nicht darauf.
    »Mein armes Kind, deine Verstocktheit wird dir nicht helfen.«

    Triebe, die von der Sonne flüsterten. Samenkörner, die sich vom Wind erzählten. Wurzeln, die ineinandergriffen, sich führten, verschränkten, umschlangen. Wie eine Hand die andere beim Tanz.
    Seine Stimme verlor etwas von ihrem samtigen Schimmer. Darunter blitzte es scharf.
    »Ich rede immer noch mit dir, junge Dame, und nur zu deinem Besten. Glaubst du etwa immer noch, irgendwelche Fabelwesen werden dir zu Hilfe kommen, wenn du nur stark genug an sie denkst? Verbohrter Unsinn, nichts weiter! Dem Fortschritt und der Vernunft kann man sich nicht in den Weg stellen. Sie sind allumfassend. Du solltest klug genug sein, um das endlich zu begreifen.«
    Mina stand auf.
    So überzeugt er von seinen eigenen schönen Worten klang, so überrascht war er doch, als sie ihnen zu folgen schien. Mit einer kleinen, ratlosen Falte auf der Stirn beobachtete er, wie sie näher kam, gerade auf ihn zu.
    »Nun, mein Kind, das ist recht. Begib dich unter meinen Schutz. Komm, du zitterst ja. Soll ich dir meinen Kittel geben?«
    Sie hielt erst an, als ihre nackten Zehen beinahe seine glänzenden Schuhspitzen berührten. Dann hob sie die Arme, er glaubte vielleicht, sie wollte sich ihm an den Hals werfen. Sie streckte die Finger, und dann, mit einer einzigen Bewegung, die viel zu schnell für ihn war, riss sie ihm die Brille herunter.
     
    Wie klein seine Augen waren. Klein und wässrig. Mit dünnen roten Adern, die das Weiß durchzogen. Tränensäcke hingen faltig an den

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