Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
nicht? Konnte es sein, dass die Meute ihre Spur verloren hatte?
Aber das Horn, das furchtbare Horn schrie erneut, und alles, was sie tun konnte, war, dem schmalen Katzenleib
zwischen die Bäume zu folgen, so schnell sie konnte. Die Stämme standen eng beieinander, wie schmale, hohe Türen, fast zu eng, selbst für ein Mädchen. Immer wieder blieb sie mit dem Mantel an Astknorren hängen, zerriss das Kleid an Wurzeln, die plötzlich aus dem Boden nach ihr krallten. Und immer noch wurde das Wäldchen dichter. Sie merkte, dass es allmählich bergab ging. Ihre Füße kamen auf dem schlammigen Boden ins Rutschen. Unter den Blättern wurde es so dunkel, dass sie nur noch ab und zu das Aufleuchten von Tausendschöns Augen sah, wenn er sich nach ihr umdrehte. Einen Zentimeter daneben war es finster.
Sie versuchte sich an Ästen abzustützen, die ihr unter die Hände gerieten, aber es nützte kaum etwas. Der Boden wurde immer abschüssiger. Wenn es noch tiefer hinunterging, das wusste sie, würde sie stürzen und durch das Gehölz schlittern wie ein toter Körper, um irgendwo einfach liegen zu bleiben und nicht mehr aufzustehen.
»Tausendschön«, hauchte sie, »Herr Tausendschön …«
»Nur Mut!« Die raue Stimme klang gar nicht so weit entfernt, wie sie erwartet hatte. »Sie haben es gleich geschafft! Ein paar Schritte noch, dann wird es wieder eben. Hier ist auch Licht, sehen Sie? Können Sie es sehen?«
Sie reckte den Hals, und ein Zweig peitschte ihr quer durchs Gesicht. Ja, da war etwas, etwas Gelbliches, nicht das blasse Silberfunkeln der Kateraugen. Irgendwo vor ihr, hinter den Stämmen. Mit aller Kraft, die sie noch hatte, drückte Mina gegen das Unterholz, das ihr den Weg versperrte. Es knackte laut. Dann brach etwas, und jetzt fiel sie wirklich, schlug schwer auf den Boden auf, drehte sich im Fallen und rollte mit fest zusammengekniffenen Augen zwischen zwei Bäumen hindurch - ins Freie.
Eine Hand packte sie an der Schulter.
»Hierher, hierher, kleines Fräulein. Ich helfe dir.«
Es war nicht der Kater, der sprach. Die Stimme war auch rau, sogar heiser; aber sie gehörte eindeutig einem Mann. Mina blinzelte vorsichtig.
Ein bärtiges, dunkles Gesicht sah zu ihr hinunter.
»Du kannst hier nicht liegen bleiben, hier bist du nicht sicher. Komm, da drüben ist unser Lager. Da kannst du dich aufwärmen.«
Das bärtige Gesicht lächelte nicht. In den Falten, die so tief und zahlreich waren, dass Mina sie sogar im schwachen Regenlicht sehen konnte, stand Sorge. Als der Mann die Hand von ihrer Schulter nahm und ihr entgegenhielt, offen, die Handfläche nach oben gekehrt, nahm sie sie, ohne nachzudenken. Sie fühlte sich trocken und schwielig an.
Da war ein Feuer, wohin er sie hastig führte, ein Feuer unter einer Art großer dunkler Plane; und Gestalten darum herum, Gestalten, die ihr Platz machten, als sie zwischen sie trat, und mitfühlende menschliche Laute von sich gaben. Sie folgte dem bärtigen Mann bis dicht zu den Flammen, sah die roten und gelben Spitzen über das Holz tanzen wie eine eifrige Katzenzunge über eine kleine Pfote, und da war auch er, Tausendschön, ein runder Kopf unter einer dicken Decke, wie in einem Zelt. Die Hand löste sich von ihrer, und sie ließ sich neben dem Kater auf den Boden fallen.
Nie, niemals zuvor hatte sie sich so müde gefühlt und so zerschlagen. Es gab nichts, was ihr nicht wehtat, keine Bewegung, die sie machte, ohne dass scharfe Schmerzen durch jeden Knochen schossen. All ihre Kleider waren bis auf die Haut durchnässt, die Haare klebten ihr am Kopf. Als sie eine Hand vorsichtig wieder an ihr Gesicht
führte, zuckte ein Brennen durch ihre Nase. Sie stöhnte leise.
Aber das Bellen war verstummt, und das Horn gellte nicht mehr. Als wäre der furchtbare Lärm an den Baumstämmen hängengeblieben. Nur das Feuer knisterte leise.
Jemand legte ihr von hinten etwas Schweres, Warmes über die Schultern. Andere Hände drückten ihr einen Becher in die Hand, aus dem heißer Dampf stieg und ihre Augen zum Tränen brachte. Oder weinte sie schon wieder? Es schien keine große Rolle zu spielen. Sie hätte den Becher gerne an die Lippen geführt, getrunken, was immer er enthielt, wenn es nur die entsetzliche Kälte vertrieb, die sich in ihr festgebissen hatte. Aber sie wusste, ihre Hand zitterte viel zu sehr.
Mit Mühe wandte sie den Kopf. Tausendschön hatte die Vorderpfoten vor sich auf dem Boden ausgestreckt und betrachtete sie.
»Sind … sind wir jetzt sicher?«, fragte
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