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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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als sie verstand, nahm sie es, wandte sich ab und putzte sich die Nase so vorsichtig und so damenhaft wie möglich. Es roch eigenartig, herb und frisch zugleich.
    Als sie sich wieder umwandte, stand er immer noch da, schaute auf das Medaillon, das zwischen den Zweigen des Busches glänzte.
    »Danke«, sagte sie leise. »Du … Was hast du eben gesagt?«
    »Dass sie sich sonnen wollen. Habe ich gedacht.«
    Er betrachtete die Bilder.
    »Ist bestimmt dunkel da drin. Und kalt. In der Sonne ist es warm.«
    Mina nickte zögernd. »Ja. So was habe ich … habe ich manchmal auch gedacht.«
    Die Worte kamen seltsam leicht aus ihrem Mund. Und er schien sich nicht darüber zu wundern, erwiderte nur ihr Nicken mit einem kurzen Blinzeln, das Einverständnis bedeutete. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, etwas Nettes sagen oder tun zu wollen, die scharfen Worte von vorhin
wiedergutzumachen. Aber sie wusste nicht, wie. Das Einzige, was ihr einfiel, war etwas, das sie einmal gesehen hatte, vom Dachbodenfenster aus: Zwei kleine Jungen, die sich auf der Straße stritten und schubsten und sich irgendwann wieder vertrugen.
    Vorsichtig streckte sie ihm die Hand entgegen. Es fühlte sich so feierlich und würdevoll an, wie es damals ausgesehen hatte.
    »Ich … ich heiße Wilhel… Ich heiße Mina«, sagte sie sehr leise.
    Seine runden Augen blickten ernst, als er zu ihr aufsah.
    »Ich bin Zinni.« Seine Hand legte sich in ihre, warm und lebendig. Seine Finger waren kaum halb so lang wie ihre.
    »Guten Tag, Zinni«, sagte sie.
    »Guten Tag, Mina«, sagte er.
    Dann blitzte ein Grinsen über sein Gesicht.
    »Die Gadsche sind immer so höflich!«
    Er hielt ihre Hand weiter fest, und sie ließ sich von seinem Kichern anstecken.
    »Sagst du mir jetzt endlich, was das bedeutet? Und wer all diese Leute sind, Lilja und Rosa und von wem du noch geredet hast?«
    Er pflückte das Medaillon aus den Zweigen. Einen Moment lang schimmerte das Papier noch in der Morgensonne; dann ließ er das Scharnier zuschnappen und steckte das Schmuckstück in ihre Manteltasche, wo es schwer ganz nach unten sank.
    »Die Gadsche wohnen in Häusern«, sagte er und sah sie von der Seite an. »Wir wohnen überall. Wir sind wir, und die Gadsche sind die Gadsche. Das ist alles. Wusstest du das wirklich nicht?«

    »Nein«, sie kicherte immer noch, und es kitzelte und kribbelte in ihrem Bauch. »Seltsam, nicht? Da bin ich eine Gadsche und weiß es nicht einmal.« Das Wort kam ihr nicht mehr so abstoßend vor, so schmutzig und unfreundlich.
    Zinni lächelte sie beinahe mitleidig an. »Die Gadsche wissen so viele Sachen nicht.«
     
    Mina ließ es zu, dass Zinni die Spieluhr für sie trug, als sie nebeneinander über die Lichtung gingen, und die Sonnenflecken tanzten über sein braunes Gesicht. Das Erlenwäldchen empfing sie mit weichen, duftenden Armen; die Zweige wichen zur Seite, anstatt ihnen die Arme zu zerkratzen, und keine Schatten lagerten unter den Stämmen. Vögel zirpten. Dort, wo die Bäume auseinanderwichen, glitzerte Wasser blass zwischen dem Grün und Braun. Ein Bach, schmal und schnell, und helle Stimmen flossen unter seinem Plätschern dahin. Mina hörte sie, bevor sie sie sah, die bunten Gestalten auf der anderen Seite. Sie klangen wie die Vögel, leicht und sorglos.
    »Siehst du?«, fragte Zinni. »Da ist Lilja. Sie wäscht die Wäsche. Weil die Sonne scheint.«
    Da war eine Frau am Wasser. Lange, dunkle Haare wehten über das helle Funkeln des Bachs, wenn sie sich vorbeugte und Wäschestücke untertauchte; glänzende, offene Strähnen, wie bei einem sehr jungen Mädchen, und sie hockte auf ihren Fersen am Bachufer wie ein Kind. Sie trug ein Kleid, so grün wie die Erlenblätter im Schatten, unordentlich in Falten gerafft und um ihre Knie gezogen. Erst als sie aufstand und ihnen zuwinkte, sah Mina, wie groß sie war.

    »Rosa, Pipa!«, rief sie. »Kommt, meine Töchter. Unser Besuch ist aufgewacht.«
    Die offenen Haare umwehten sie bis zu den Hüften, verfingen sich in ihren klingelnden Armbändern. An ihren Knien war das grüne Kleid dunkel vor Nässe, und das Wäschestück, das sie in der Hand hielt, tropfte an ihr herunter. Aber ihre Stimme war voll und stark, Sonnentupfen tanzten darin, und das Morgenlicht umgab ihren dunklen Scheitel wie das verbogene Diadem auf dem Dachboden daheim. Unwillkürlich fasste Mina ihren eigenen zerdrückten Mantelsaum und knickste.
    In den niedrigen Büschen hinter der großen Frau bewegte sich etwas und raschelte. Zwei

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