Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Köpfe tauchten aus dem Zweigmeer auf, Mädchengesichter, von losen Zöpfen umrahmt, so dunkel wie die wehenden Strähnen der Frau. Lachende Münder spiegelten das weite Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Rosa, Pipa«, sagte sie noch einmal, »begrüßt unseren Gast. Recht artig, denn sie hat gute Manieren.«
Die zwei Mädchen winkten. Eines, das größere, das vielleicht schon kein Mädchen mehr war, zog sein Kleid ohne Umstände über den Knöcheln hoch und stieg mit seinen bloßen Füßen in den Bach. Mina fühlte, wie ihre Wangen rot anliefen.
»Warum kommt sie nicht zu uns?«, maulte das andere Mädchen und stemmte die Fäuste gegen seinen bunten Rock. Es war sicher nicht größer als Mina. »Ich bin mit dem Aufhängen noch nicht fertig.«
Das Mädchen im Bach drehte sich um und lachte.
»Seit wann bist du so eifrig beim Waschen, Schwesterchen? Komm, wir dürfen nicht unhöflich sein.«
Wie seltsam das klang, von diesem Mädchen mitten im Wasser, ohne Schuhe, mit gerafftem Kleid. Unhöflich … Das Wort passte nicht hierher. So wenig wie ein hochbeiniger Esszimmerstuhl aus dem Gutshaus, mit seidenem Polster und geschnitzter Lehne, der plötzlich mitten im Wäldchen stehen würde.
»Guten Tag«, sagte das Mädchen und wrang das Wasser aus dem Kleidersaum. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich bin Rosa.«
Es wäre gar nicht nötig gewesen, dass sie ihren Namen nannte. Ihre Wangen, ihre Lippen blühten mit dem Hauch der alten Rosenstöcke auf dem Rasen vor dem Gutshaus, und ihre Augen schimmerten wie der Tau, der sich frühmorgens auf dunklen Blättern sammelt. Sie konnte nur Rosa heißen. Und in ihrem ganzen Leben hatte Mina kein schöneres Mädchen gesehen.
Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück, fühlte sich plötzlich noch schmutziger und zerrupfter als vorher. Es war gut, dass Zinnis warme Hand immer noch in ihrer lag.
»Guten Tag«, murmelte sie und knickste wieder. »Guten Tag, Rosa. Ich bin Mina.«
Rosa schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken. Sie zauste Zinni den Schopf und lächelte Mina dabei an, und ihre Zähne waren so, wie es in den Liedern hieß, die die Mädchen abends in der Küche sangen: weiße Perlen zwischen Blütenblättern. Eine schmale helle Katzenzunge leckte flink darüber. Sie erinnerte Mina, und weil sie froh war, dass ihr irgendetwas einfiel, das sie sagen konnte, fragte sie rasch:
»Hast du meine Katze gesehen?«
»Deine Katze?« Rosa sah sie erstaunt an. »Meinst du Herrn Tausendschön?«
Mina bereute die Frage. Sofort waren die Bilder wieder da, die nasse, düstere Nacht, die heulende Finsternis und das Katergrinsen zwischen tropfenden Weidenzweigen. Aber er ist doch wirklich nur meine Katze, die Katze von unserem Hof, wollte ein Teil von ihr widersprechen. Kein Herr, wie auch immer er heißt, auch wenn sein schwarzes Fell mit der weißen Brust aussieht wie ein Abendanzug … Einfach nur eine Katze, mehr nicht!
Vielleicht, wenn sie laut genug protestierte, vielleicht stimmte es dann. Und vielleicht verschwand mit der seltsamen schnurrenden Stimme in ihrer Erinnerung auch alles andere wieder, und sie war nichts weiter als ein dummes Mädchen, das sich im Dunkeln verlaufen hatte und bei ein paar freundlichen Zigeunern erwachte.
Zinni zupfte an ihrer Hand.
»Er mag es nicht, wenn man ihn Katze nennt«, sagte er bestimmt. »Er ist nämlich ein Katzenmann, weißt du.«
Mina seufzte leise. »Ja«, sagte sie dann, »ich weiß. Ich habe nur gemeint … Er wohnt bei uns auf dem Gut. Und …« Die Worte steckten widerspenstig in ihrer Kehle, sie musste sich räuspern. »Er hat mich zu euch gebracht.«
Rosa streichelte ihr über das Gesicht. Es ging so schnell und fühlte sich so leicht an, als wäre es nur ein Blütenblatt gewesen, das aus einem Magnolienbaum auf Minas Stirn gefallen war.
»Natürlich hat er das«, sagte Rosa und lächelte wieder. »Armes Ding, wie hättest du uns sonst gefunden? Es ist schlimm, nachts draußen zu sein, wenn man sich nicht auskennt.«
Schlimm, dachte Mina, während sie stumm nickte. Schlimm, ja. Und viel mehr als das.
»Aber sie ist doch kein kleines Kind mehr.« Das jüngere Mädchen schüttelte sein nasses Kleid aus und stellte sich neben seine Schwester. Sein Gesicht war rund und braun wie Zinnis, mit fröhlichen roten Bäckchen; aber die Augen blickten missmutig drein.
»Ich«, sagte es und reckte das Kinn in die Höhe, »ich bin schon oft alleine unterwegs gewesen. Auch im Dunkeln. Es ist überhaupt nichts
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