Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
wie sehr sich das Schloss am Tag des Aufstiegs verändert hatte. Die allermeisten Erwählten hatten sich in ihre Räumlichkeiten zurückgezogen, sich hingelegt und ihre Geister nach Aenir gesandt. Ihre Geistschatten hatten sie mitgenommen und so war das Schloss mehr oder weniger den Untervölklern überlassen.
Es war bedrückend still in den Korridoren. Tal konnte nicht anders als an das denken, was er jetzt eigentlich tun sollte. Er sollte bei seiner Familie zu Hause sein und auf seinem Bett auf der speziell gestickten Decke liegen, während sein Vater über ihm stand und mit seinem Sonnenstein den Übertritt nach Aenir begleitete.
Er hatte sich noch nie so allein gefühlt.
Es war seltsam, so viele Untervölkler auf den Beinen zu sehen. Sie suchten sich genau diesen Zeitpunkt aus, um in aller Eile die meisten aufwändigen Wartungs-, Reparatur- und Bauarbeiten durchzuführen, die während der Anwesenheit der Erwählten nicht durchgeführt werden konnten.
Sogar unten auf der Untervolk-Ebene sieben, wo Tal und Crow einen Zwischenstopp einlegten, um die Tornister mit Höhlenschaben-Gift zu holen, herrschte eine bemerkenswerte Geschäftigkeit. Untervölkler, die in Lagern arbeiteten, gaben Werkzeuge und Farbe aus, Holz und Schrauben, Bürsten und Besen, Ersatzteile für Rohre und Armaturen und noch allerhand andere Dinge. Ein nicht enden wollender Strom von Menschen nahm die Waren in Empfang.
Wie Crow gesagt hatte, schienen diese Menschen – Fatalisten, wie er sie genannt hatte – sehr eifrig an die Arbeit gehen zu wollen. Tal hatte angenommen, dass sie die Abwesenheit der Erwählten eher als Ruhezeit nutzen würden. Doch dafür gab es keinerlei Anzeichen. Sie waren völlig auf ihre Aufgaben konzentriert.
Tal und Crow trugen ihre Masken und Tal bemerkte, dass alle einen weiten Bogen um sie machten. Offensichtlich hatte Crow in Bezug auf das Gift nicht übertrieben. Es schien so, als fürchteten die anderen Untervölkler sogar eine Berührung mit den Kleidern der Höhlenschaben-Sprüher. Und weil ihnen das peinlich war, sahen sie nicht einmal in Tals und Crows Richtung.
Das war nur zu ihrem Vorteil’ dachte Tal, denn Adras hatte Schwierigkeiten, sich wie ein natürlicher Schatten zu verhalten. Er lag immer ein Stück zurück und wenn Tal um eine Ecke bog, lief sein Schatten zuerst einen Augenblick weiter, bevor er sich endlich korrigierte und hastig abbog. Niemandem schien das bislang aufgefallen zu sein, doch Tal machte es sehr nervös.
Wie auch immer – wenn sie sich von den Unterkünften der Erwählten und ein paar speziellen Räumen wie den Imperialen Vorzimmern fern hielten, wo Erwählte schliefen und Geistschatten sowohl sie als auch ihre Räume bewachten, müssten Tal und Adras vor Entdeckung relativ sicher sein.
Es dauerte beinahe den ganzen Tag, um von der Untervolk-Ebene sieben bis zur höchsten Ebene der Roten zu gelangen. Von dort konnten sie den Roten Turm besteigen, obwohl dies auch von einigen der Ebenen der höheren Farben möglich war. Normalerweise hätte Tal nicht länger als eine Stunde gebraucht, um alle Stufen und Rampen hinter sich zu bringen, doch sie mussten immer wieder anhalten, um in Röhren, Kanäle oder andere abgelegene Ecken zu klettern und nach Höhlenschaben zu sprühen.
Nach einiger Zeit bemerkte Tal, dass Crow ihn beim Sprühen beobachtete, so als warte er darauf, dass etwas mit ihm passierte. Tal behielt ihn ebenfalls im Auge, denn er dachte immer an Ebbitts Rat, die Maske auszutauschen, die Crow ihm gegeben hatte. Er war sich allerdings nicht sicher, ob diese Warnung nur Ebbitts üblicher Exzentrizität entsprungen war oder weil sein Großonkel tatsächlich vermutete, dass Crow für Tal eine defekte Maske ausgesucht hatte.
Auf jeden Fall strengte Crow sich an, freundlich zu sein. Die verbalen Angriffe des gestrigen Tages waren verschwunden und wenn er etwas sagte, dann war es nur, um Tal zu instruieren, wie er sprühen oder was er tun musste, um wie ein Untervölkler zu wirken. Vielleicht beobachtete er ihn ja nur, um sicherzugehen, dass Tal seine Rolle beibehielt. Vielleicht war es tatsächlich nicht so, dass Crow nur darauf wartete, dass er umfiel und an dem Gift starb.
Tal konnte weder das eine noch das andere mit Sicherheit sagen, also beschloss er, die Augen offen zu halten.
Vom Saal der Hohen Roten Zusammenkunft, dem Raum, der normalerweise voller Erwählter war, die sich für Unterhaltungen und zu einem gemütlichen Beisammensein trafen, musste es laut Tals
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