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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zu Blutwurst tendierend, vermischt mit den damals verbreiteten Molkevariationen, die man kalt auch aufs Brot strich. Wir nannten sie »Schmieres«, weil sie sich so leicht drauf schmieren ließ. Nachdem die Füllung aufgetragen war, wurde der Füllungsträger wie ein Teppich gerollt und, damit er nicht reiße, vierhändig auf die Platte gehievt.
    Großabnehmer des gerollten Genusses war ein wöchentlicher Gast von unzeitgemäßer Leibesfülle, Professor Piloty, Chef der Technischen Hochschule München. Hansa, wie er genannt wurde, hörte schlecht. Um dieser, in Zeiten mündlicher Orientierung besonders störenden Schwäche abzuhelfen, hatte sich der stets vergnügte Mann aus Hochschul- mitteln ein Hörgerät gebaut, einen schwarzen Kasten mit aufgeschraubten Aluminiumecken und von den Abmessungen eines Koffergrammophons. Das Ungetüm besaß neben Tragegriff und Klapp Verschlüssen zwei Buchsen. Über die eine schloß er den Kopfhörer an, mit dem er bei Tisch saß, den schwarzen Doppelbügel um die Glatze gespannt, stramm wie einen Sattelgurt; die andere krönte er mit einem auch nicht gerade kleinen Rundfunkmikrophon und wuchtete die Empfangsstation neben die Fischplatte. Wir konnten sagen, was damals wenige behaupten konnten: daß der Eßtisch sich bog. Wurde die Roulade bereitet, wußte man, heute kommt der Professor.
    Es gab auch zierlichere Arrangements. Ein anderer Freund des Hauses kam aus der näheren Umgebung. Er gehörte einer alten Münchner Familie an, die von eigenwilligen Persönlichkeiten nur so strotzte: Ernst Hanfstaengl, genannt Putzi, erster Pressechef bei Hitler, später zum Tod verurteilt, geflohen, schließlich Berater des amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Aufgrund persönlichen Einblicks in die Mechanik der Macht mißtraute Putzi allen, die an der Welt mit herumregierten. Sogenannte Weltgeschichte hielt er für eine Kausalkette von Unpäßlichkeiten der Machthaber. Da Mensch und Werk untrennbar zusammengehören, seien historische Entscheidungen letzten Endes auf Kopf- oder Leibschmerzen, Verstopfungen und deren Gegenteil, schlechte Laune, Genußmittelmißbrauch, Ärger über Frauen, erhöhte Temperatur und Wetterfühligkeit zurückzuführen. Nach dem gegenwärtigen politischen Bankrott ein überzeugender Gedanke. Den Beweis wollte er aus der Privatkorrespondenz von angeblich Großen destillieren. Damals stöberte er in Napoleons Briefen und erzählte mir morgens, bei gemeinsamer Kaltrasur von seinen jüngsten Entdeckungen. Leider hat er den historischen Schlüssellochkrimi nie geschrieben; die Idee liegt aber musikalisch vor. Als überdurchschnittlicher Pianist hat Putzi den Einfluß der Fallwinde im Voralpenland auf die Weltpolitik in Töne gegossen. Das Werk, ein süffiger Walzer, heißt Deutscher Föhn und ist dem Österreicher gewidmet.
    Putzi aß wenig, weil er viel sprach. Das Feuerwerk von Einfällen, das er bei Tisch abbrannte, hob die Temperatur im Raum. Er reflektierte, wir waren die Reflektoren. In Krisenzeiten reicht bürgerlicher Trott eben nicht aus. Man braucht Extreme.

    Nicht jeder Besuch galt allen. Mancher wurde zu einer Tasse Tee ungesehen aufs Zimmer geschleust. So geschah es, daß man auf dem Weg zum Frühstück einem wildfremden, alten Herrn mit eckigen Manieren begegnete, Schirmmützentyp im weichen Jägerhut. Korrekt stellte er sich als General a. D. vor und verließ das Haus.
    Beim Meinungsaustausch, wen er wohl besucht habe, blieb die alte Dame übrig, deren schwaches Auge die Kerben in unseren Broten übersehen hatte. Als sie erschien, walzten wir den Zwischenfall aus, bis sie gestand: Er war zum Tee gekommen und im Liegestuhl eingeschlafen. Unter gemeinsamem Grinsen beklagten wir die Umstände, die Unmoral bis ins reifste Alter begünstigten , und sie errötete, um fünfzig Jahre verjüngt.

    Auf einen Besucher wartete ich vergeblich: auf Ernst Fritz Fürbringer, den Schauspieler. Während eines Urlaubs im Krieg hatte ich ihn kennengelernt. Damals wohnte er noch im Haus in der Kaulbachstraße, war aber in der Zwischenzeit verzogen. Mit seiner Fürsprache erhoffte ich mir Kontakt zum Theater. Bürgerlich erzogen wie ich war, widerstrebte es mir, ihm mit meinem Anliegen ins Haus zu stolpern. Es sollte sich zufällig ergeben, daß wir uns trafen. Bei dieser Gelegenheit wollte ich das Gespräch so lenken, daß er nicht mehr darum herumkäme, mich zu fragen: Und was machen Sie jetzt?
    Dann würde ich’s ihm sagen und ihn selbst auf die Idee kommen lassen, mir

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