Der Sieg nach dem Krieg
behilflich zu sein. Ich hielt das für wirksamer.
Da Fürbringer auch Schauspielunterricht gab, sollte er sich im Gespräch von meinen schlummernden Talenten überzeugen und sie in eigener Regie zum Erblühen locken. Ich wollte entdeckt werden. Das erschien mir die beste Starthilfe zu sein, wenn man nicht an sich glaubt. Da ich das tat, wartete ich geduldig.
Wir hatten eigentlich alle keine Eile. Zu viel gab es zu erledigen, um überhaupt vorhanden sein zu dürfen. Gegenwart blockierte die Zukunft. Außerdem hinkte ich noch.
Der Übersetzer
B is Kriegsende war ein Krückstock eine Art Auszeichnung gewesen. Das gab es jetzt nicht mehr. Verwundung war nur noch Handicap. Man hatte sich damit abzufinden, an seiner physischen Brauchbarkeit gemessen zu werden. Wer auf die fahrende Straßenbahn nicht aufspringen konnte, der mußte eben gehen. Auch wenn gerade das ihm schwerfiel.
Bei den Versorgungsstellen, wo der Umgangston der Wehrmacht in unangenehmer Weise konserviert blieb, war man nur noch eine Nummer, die nach Vorschrift abgefertigt wurde, ob diese Vorschrift auf das Leiden zutraf oder nicht. Der Nächste!
Ich habe keinen gesehen, der aufbegehrt hätte. Zu tief saß der Gehorsam in den Knochen. Jedenfalls in diesem Milieu. Aber auch Hoffnung, ein naiver Glaube, daß es weitergehen werde. Vielleicht gerade weil man nicht ganz heil davongekommen war.
Was das Theater betraf, war ich guten Mutes. Schon in der Schule hatte ich zwar miserable Noten, aber zu allen Anlässen gute Einfälle für Songs oder Sketches, die ich schrieb und mit denen ich auf trat. Sollte sich meine Entdeckung verzögern, wußte ich einen anderen Weg. Ein Spezi von mir, Franz Geiger, war ihn erfolgreich vorausgeschritten. Er führte zum amerikanischen Theateroffizier Captain van Loon, einer musischen Militärperson, von rarem Einfühlungsvermögen in die Mentalität der Besiegten. Aus diesem Gespür hatte der Captain — als ehemaliger Tänzer im Theatermilieu zu Hause — dem jungen Mann mit einer Empfehlung die Tür zum Generalintendanten der Bayerischen Staatstheater geöffnet.
Gedankenschwer saß Artur Baukner hinter seinem Schreibtisch in der Maximilianstraße. Er gehörte zu jener Garde der ersten Stunde, die von den Nazis aus dem Amt gejagt und von den Amerikanern deswegen als unbedenklich wieder eingesetzt worden war. Der Empfohlene stellte sich vor, wie er glaubte, daß es beim Theater richtig sei: schillernd, dabei bescheiden. Studium der Theaterwissenschaft bei Artur Kutscher, andere Bildungsstationen tippte er nur an. Dramaturgisch wohlbedacht, wollte er den aufrechten Mann selber draufkommen lassen, welchen Riesengriff er mit sofortigem Engagement tun würde. Dem Mienenspiel nach, sah der die Chance jedoch nicht. Dutzende von Vorzügen trafen bei geneigtem Kopf am Ohr vorbei, bis er, wie auf einer anderen Ebene schließlich fragte: »Ja, haben Sie denn ein Fahrrad ?«
Franzens Elan ging in Klartext unter. »Wieso ein Fahrrad?«
»Es waren schon zwei Herren da, die hatten kein Fahrrad, und ich konnte sie nicht engagieren .«
Eins nach dem andern, dachte der Bewerber. Er besaß kein Fahrrad, sagte aber, er habe eins und wurde umgehend Regieassistent an der Bayerischen Staatsoper. Das ausschlaggebende Objekt lieh er sich von einer Freundin. Es war in der Tat für das Münchner Kulturleben dringend erforderlich. Die Intendanz bereitete Aufführungen vor. Ihr Haus, das Prinzregententheater war vom special service , der amerikanischen Vergnügungstruppe, beschlagnahmt. Die plante aus dem Stegreif. Deswegen mußte der Regieassistent täglich um drei Uhr nachmittags zum Prinzregententheater radeln, um festzustellen, ob die Besatzungsmacht eine eigene Veranstaltung angesetzt hatte oder ob sie das Haus für den abend den Deutschen überließ.
Traf dies zu, rief der Regieassistent umgehend beim Rundfunk an, damit man das Ereignis sofort verbreite. Dann hieß es: »Radio München, ein Sender der Militärregierung gibt bekannt: Heute abend findet im Prinzregententheater... und so weiter...statt .«
Während der Sender das kulturelle Unterfangen ankündigte, radelte der Regieassistent quer durch die Stadt nach Nymphenburg, wo sich in der Hubertusstraße die Dienststelle des amerikanischen Theateroffiziers befand.
Dort mußte er Captain Edwards die Liste sämtlicher Mitwirkenden vorlegen und sie gutheißen lassen.
Der Captain hatte eine zweite Liste und verglich. Hielt sein abhakender Bleistift bei einem Namen inne, kam es mitunter zu
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