Der Sieg nach dem Krieg
seltsamen Dialogen.
»Stop. Das geht nicht. Der war Nazi .«
»Ach, lassen’s ihn halt singen. Er war ja nur ein ganz Kleiner .«
»Dann wollen alle andern Kleinen auch wieder auftreten .« »Wir brauchen nur den einen. Unser einziger Nicht-Nazi, der die Partie beherrscht, ist stockheiser .«
Edwards zog seine Captainkollegen van Loon und Hahn zu Rate. Es ging sehr leger zu in der Hubertusstraße. Hatte der gelernte Tänzer van Loon, Sohn des holländischen Rubensexperten, besonders gute Laune, konnte es geschehen, daß er mitten im Gespräch aufstand, ein Bein an der Fessel faßte, es bis in die Vertikale über den Kopf hochzog, eine Arabeske und eine Attitude hinzufügte und während er wieder Platz nahm, um in der Sache fortzufahren, befriedigt feststellte: »Geht noch.«
Den drei Captains und dem Kunstradler hatte das Münchner Publikum manchen glanzvollen Abend zu verdanken.
Mir gab Franzis Bericht großen Auftrieb. Ich mußte mich auf die Städtischen Bühnen konzentrieren. Dort würde man an meinem Talent nicht vorbeikommen. Ich besaß ein Fahrrad. Die Tätigkeit als Kunstradler beziehungsweise Regieassistent, wie es offiziell hieß, erschien mir erstrebenswert, um mich mit dem noch fremden Metier vertraut zu machen. Was man zu tun hatte, wenn man nicht gerade strampelte, wußte ich von Franzi.
»Du kommst da auch mit Berühmtheiten zusammen !«
Er sagte es warnend und dachte vor allem an Hans Knappertsbusch. Der Maestro war eines Tages mit Rucksack aus weiser Verschollenheit zurückgekehrt, um die Münchner Philharmoniker zu übernehmen.
»Dann ist da noch so einer...« munkelten Angestellte im Theater, »Wehrhöfer oder wie der heißt. Der will unbedingt Intendant werden .«
Es handelte sich um Paul Verhoeven. Er wurde Schauspieldirektor.
Mit Hans Knappertsbusch bekam es der Kunstradfahrer erstmals anläßlich einer konzertanten Aufführung von Opernarien zu tun. Wie ich dabei lernte, oblag es einem Regieassistenten unter anderem auch, den Programmzettel zu verfassen. Das tat der Franzi. Säuberlich führte er die Arien hintereinander auf.
Anderntags wurde auf dem Korridor vor den Büros Gebrüll hörbar. Es kam näher und differenzierte sich zu Worten. »Wo ist dieser unbegabte Mensch? Wo ist dieser unbegabte Mensch ?«
Die Tür wurde aufgerissen, Maestro Knappertsbusch stürmte herein und fuhr den Regieassistenten an: »Wo kommen Sie her? Wer sind Sie überhaupt, daß sie an der Staatsoper München tätig sind ?«
Und er donnerte den gedruckten Programmzettel auf den Tisch. Die Geste forderte zum Lesen auf. Mit jeder Zeile wurde der Zorn des Maestro verständlicher. Die Sammlung von Druckfehlern war reif für das Buch der Rekorde. Komponistennamen, wie der auch bei schmaler Allgemeinbildung als bekannt vorauszusetzende von Giacomo Puccini, las sich hier in einer merkwürdigen Mischung aus englischer und deutscher Schreibweise Jackomo Putschiner und ähnliches mehr.
»Ich wußt’ doch nicht, daß man da Korrektur lesen muß !« erklärte mir der Franzi.
Der Maestro schätzte ihn sparsam. Dennoch behielt Franzi seinen Posten. Das Fahrrad machte ihn unkündbar.
Ein paar Monate später brachte die Staatsoper Tosca neu heraus. Für den Regieassistenten bedeutete das, eine Inhaltsangabe zu basteln, damit Bürger, die das Stück immer noch nicht kannten oder wissen wollten, um was es sich drehte, wenn sie den Gesang gerade nicht verstanden, im Programmheft nachlesen konnten.
Freund Franz gab sich Mühe. Ihm ging es darum, den trockenen Bildungston aus anderen Programmheften zu vermeiden. Er servierte die Geschichte in Form einer flotten Reportage: Besuch der Oper Tosca mit einer hysterischen Dame — so oder ähnlich lautete die Überschrift.
Das saloppe Werk wurde tatsächlich gedruckt und stand zur Premiere im Programmheft. Ohne Druckfehler! Als der Maestro davon erfuhr, bot selbst das Fahrrad keine Sicherheit mehr.
Nun wollte der Gefeuerte sowieso zum Sprechtheater. Während des Krieges hatte er, dank französischer Sprachkenntnisse einer Dolmetscherkompanie angehört und war mit den Geschwistern Scholl befreundet gewesen. Dafür wurde er nach deren Hinrichtung verhaftet und für achtzehn Monate in der Festung Torgau eingesperrt. Dort kam ihm durch Zufall das Schauspiel Antigone von Jean Anouilh in die Hände. Da die Häftlinge lesen und auch schreiben durften, hatte er das Stück gewissermaßen zur Übung übersetzt und dabei seine Schwäche für das Theater entdeckt. Am 25. Juni 1946
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