Der Sieg nach dem Krieg
ersten Gäste kommen. Das Haus lag mitten zwischen beschlagnahmten Anwesen, die bewacht wurden, von Polen vor allem, in blauen Uniformen, damals ein gewohnter Anblick. Eine dieser Wachen patroullierte ständig an der Haustür vorbei.
Plötzlich fiel ein Schuß.
Obwohl dieses Geräusch mittlerweile gottlob selten geworden war, erkannte doch jeder sofort, daß es sich um einen Gewehrschuß handelte und machte sich automatisch auf, um nachzusehen.
Draußen schneite es. Vor der Tür lag ein Wachposten in blauer Uniform. Woher war der Schuß gekommen? Andere Posten eilten hinzu. Sie redeten in verschiedenen Sprachen, stimmten ihren Gebärden nach jedoch überein, daß hier Selbstmord vorliegen müsse. Schon kam die Military Police angebraust, sprang vom Jeep und strahlte Verdächtigungen aus.
Verhör lag in der Luft, vielleicht vorübergehende Verhaftung. Nach der bürokratischen Wollust der Amerikaner, vermutlich bis zum nächsten Morgen. Was sollte, bei aller Bestürzung, aus dem Fest werden?
Hätte sich ein Deutscher erschossen, wäre bei den Lebensumständen niemand überrascht gewesen. Aber ein Wachmann mit reichlich Briketts und Verpflegung?
Die Polizeisoldaten schauten wichtig-rüde, als seien sie kriminalistisch geschult. Einer fotografierte den Toten, aber keiner faßte ihn an. Langsam schneite er zu, bis auf einen roten Fleck, der aus dem Weiß herausstach, wie eine Kokarde.
Polizeisoldaten und Wachkollegen fuchtelten herum, beschrieben mögliche Schußrichtungen, um sie als unmöglich zu verwerfen. Niemand entschied etwas. Gleich würden die Gäste kommen. Einer der Militärpolizisten stolzierte vor den Umstehenden auf und ab. Jedem sah er ins Gesicht, bei ruhigem Blick kürzer, bei ängstlichem länger. Schließlich gab er unvermittelt ein Kommando.
Vier Mann hoben den Toten auf, trugen ihn an den Extremitäten zum Jeep. Wie Sperrgut legten sie ihn quer über den flachen Kühler. Die Polizeisoldaten saßen auf und preschten davon. Mit den Händen schaufelte der Franzi Schnee auf den roten Fleck im dunklen Feld, wo der Wachmann gelegen hatte; dichte Flocken halfen ihm beim Verwischen der Spuren.
»Halli-Hallo!«
Maskierte, veralberte Gäste kamen mit gesenkten Köpfen, wegen des Schneetreibens. Den Toten auf dem Jeep hatten sie nicht gesehen. Unabhängig voneinander bemängelten sie, daß Boris noch nicht spielte — und die Laune des Gastgebers.
»Wenn du uns einlädst, dann freu dich gefälligst !« rügte die Troika, ein Gespann, das die Phantasie beflügelte. Die Troika bestand aus zwei gutaussehenden Männern, tanzfreudig, witzig, verwöhnungsbegabt und einer makellos gewachsenen Blondine, von jener Oho-Kühle, die in Herrengesprächen als trügerisch bezeichnet wird.
Wo immer die kühle Blonde auftauchte — das war eigentlich überall zwischen Theaterpremiere und Budenzauber — tat sie’s mit doppeltem Flankenschutz. Dabei trugen alle drei ein Wenn-ihr-wüßtet-Lächeln zur Schau, daß sich jeder, ohne es zu wollen, in paarungstechnische Überlegungen verlor.
Anfangs gluckten sie zusammen, wie andere auch, mit dem begleitenden Partner, nur eben zu dritt. Dann schwärmte die kühle Blonde aus. Auf ein Glas, einen Schwatz, einen Tanz, kehrte aber immer wieder zurück. Auch die Flankeure machten Ausflüge in die weibliche Nachbarschaft, auch sie zog es nach einigem Verweilen heim ins Gespann, und alle drei lächelten glasglatt.
»Wir sind eben gute Freunde .« Sie sei verheiratet — hieß es — ihr Mann befinde sich noch in Kriegsgefangenschaft, bis zu seiner Rückkehr wolle sie sich harmlos amüsieren — hieß es. Ein perfides Ablenkungsmanöver, behaupteten die Abgeblitzten und hingen weiter ohne Landeerlaubnis in der Luft.
Dann war sie plötzlich weg. Zurückgekehrt zu ihrem Mann ins Rheinland — sagten die Flankeure und lächelten glasglatt wie immer. Von Anfang an hatten sie mit der Wahrheit geblufft. Es handelte sich um eine Josephstroika.
Eine berühmte Faschingsadresse war Else Längs Gymnastiksaal neben der Unsöldschen Eisfabrik in der Galeriestraße. Hier tobten Feste mit Künstlern und verwandten Gemütern, recht gemischt, keine Cliquenfeten. Maria Koppenhöfer domptierte mit Magierblick eine junge Schauspielerin; der zaundürre Gert Fröbe mimte den Fußballtorwart; der Schauspieler Bum Krüger, bei der Schaubude engagiert, erzählte Geschichten von Albert Bassermann, den er in jungen Jahren am Mannheimer Theater erlebt hatte; Conferencier, Kritiker,
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