Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
beziehungsweise wofür?
    Wir hatten längst gegessen, und das Töchterchen war immer noch nicht erschienen. Dabei hatte ihre Mutter einem ellenlangen Leutnant mit Bubengesicht und Hindenburgfrisur gesagt, daß sie Besuch habe. Er war gekommen, um Eiswürfel zu holen, und kaum hatte er die Tür wieder geschlossen, wurde drüben schallend gelacht.
    Später kam er noch einmal, wieder um Eis zu holen und ließ die Tür einen Spalt breit offen. Da sah ich sie sitzen auf dem Sofa, in Höhere-Tochter-Haltung, zwischen zwei cowboyhaft gelagerten Offizieren ohne Uniformjacken. Sie winkte, sprach dabei jedoch weiter, in gutem Englisch, ohne occupation accent.
    Hier hatte ich nichts verloren.
    Als ich auf die Uhr schaute, um den Zug nicht zu versäumen, rief sie mich hinein. Die Mutter begleitete mich, wie eine Gouvernante den kleinen Sohn des Hauses, damit er artig ist und nicht in der Nase bohrt. Meine Vorführung erfolgte stehend, niemand bot mir einen Stuhl an. Das Töchterchen lächelte reichlich.
    »So sieht man sich wieder«, sagte sie sehr richtig. »Spielst du noch Quetsche ?« Und in Englisch fuhr sie fort, ich sei ein begabter Jazzler auf dem Akkordeon gewesen.
    Einer der Khakicowboys deutete mit dem Bein auf mich und meinte, dann wäre es vernünftig, sich beim Special Service zu melden, Alleinunterhalter würden immer gesucht.
    Der Vorgeführte dankte und zog sich in die Küche zurück. Die Eltern schauten betreten. Es gab nichts mehr zu sagen. Schon auf dem Weg zum Bahnhof empfand ich den Tip des Amerikaners als wichtigere Fügung.
    Über die Gräfin, die unser Haus vor der polnischen Delegation gerettet hatte, erfuhr ich, wohin sich Bewerber wenden mußte und stand alsbald mit Akkordeon auf dem Rücken in einer Schlange von Schlangenbändigern, Zauberern, Jongleuren, Virtuosen, Bauchrednern, Caskadeuren und Klischnickern — Menschen ohne Knochen, die sich vor und rückwärts zusammenfalten können — im einsturzgefährdeten Tempel des Münchner Kulturlebens, im Prinzregententheater.
    »Arbeiten Sie bunt ?« fragte jemand.
    Wie sich herausstellte, bedeutet das in der Artistensprache, daß einer es versteht, sein Publikum auf mehreren Gebieten zu verblüffen. Gleichzeitig. Rauchende Bauchredner, singende Dompteure, Kartenkünstler im einarmigen Handstand — das sind Buntarbeiter.
    Es dauerte noch länger als bei deutschen Behörden; die Sieger waren uns auch in Bürokratie überlegen. Um dennoch so etwas wie zügige Abfertigung zu erreichen, wurde der nächste schon eingeschleust, während sein Vordermann sich noch produzierte, — eine entmutigende Maßnahme. Da stand man im haushohen Bühnenraum, sah den Kollegen gnadenlos von Scheinwerfern erfaßt, wie ein feindlicher Bomber, seine Kunststückchen machen, in den schwarzen Schlund des Auditoriums, aus dem ein Dolmetscher das Urteil verkündete.
    »Genug. Danke. Sie können gehen .«
    Der abgeschossene Bomber verschwand aus dem Lichtkegel, im Fadenkreuz erschien der nächste.
    »Sagen Sie Ihren Namen und was Sie machen. Und dann machen Sie’s .«
    Verloren stand man da und erklärte sich in holprigem Satzbau. Mancher mußte sich erst auf seinen Namen besinnen. Hinter meinem Akkordeon verschanzt, durchbrach ich, als Jazzparodist, mit viel Schall die Mauer. Mein Flug war von kurzer Dauer.
    »Genug. Danke. Warten Sie draußen .«
    Die neue Schlange, in die man eingewiesen wurde, bestand vornehmlich aus Buntarbeitern und war um zwei Drittel geschrumpft, atmosphärisch aber von jener giftigen Aufladung, die sich ausbreitet, wenn man Stars in einer Garderobe zusammenpfercht. Keiner sprach über Gagen, doch fürchtete jeder, der andere könne mehr bekommen. Zwischendurch freute sich jemand gänzlich verfehlt. Eine schwere Tür verkürzte in Abständen die Schlange wie ein Fallbeil. Nach feuerpolizeilichen Vorschriften war sie aus Eisen. Dahinter lag der abgetrennte Kopf, der Dickkopf mit überhöhter Gagenforderung.
    Amerikaner in Uniform saßen gelangweilt herum und überließen die weitere Abwicklung deutschen Hilfskräften. Von Vertragsverhandlung konnte keine Rede sein. Wie der Normalverbraucher bei der Spruchkammer, würde der künstlerische Spezialverbraucher in eine Gruppe eingestuft. Die Höhe der Gage entnahmen die Helfer einer Liste. Ihr Umgangston mit den zur Leistung von Kurzweil Verurteilten war österreichisch. Beileibe kein Dialekt, er äußerte sich im Fühlenlassen der untergeordneten Rolle, die man hier spielte. Die Helfer taten so, als hätten sie

Weitere Kostenlose Bücher