Der Sieg nach dem Krieg
lallte.
»Bis jetzt hat er mir noch nicht viel getan, doch fühl’ ich schon, wie Prospero ihn aufhetzt gegen mich !« flüsterte Gusti Helminger den für den Fortgang wichtigen Satz aus ihrer Muschel vor. Calibans Augen quollen aus dem Kopf, der Schweiß tropfte ihm von der Nase, daß die Zuschauer auf den vorderen Plätzen nur so staunten. Macht über Drüsen, ob Tränen- oder Schweiß-, gilt in bürgerlichen Kreisen als Zeichen für höchste Schauspielkunst. Sie merkten nicht, daß Caliban litt, wie er mit eiserner Disziplin seiner Blutleere noch gestalterische Effekte abrang, dieser Vollblutmime. Ich saß hinter ihm auf einem Felsen und sah, daß er verzweifelt nach Atem rang.
Gusti wiederholte den Satz, Caliban wankte tapfer gegen die Ohnmacht an, blieb aber unfähig zu sprechen. Wenn jetzt kein Satz kam, war das Loch nicht mehr zu verbergen, die Zuschauer würden aus ihrer Illusion gerissen. Da half Will Dohm, in seiner Rolle als Stefano mit einem bemerkenswerten Einfall. Er beugte sich zu dem Monster hinunter und wandelte dessen Text hilfreich ab. »Na Caliban, bis jetzt hab’ ich dir doch noch nicht viel getan...?«
Sabbernd wankte das Ungeheuer weiter, die Krise dauerte an.
Stefano setzte seine Bemühungen fort. Schulterklopfend und versöhnlich, wie man mit einem verschüchterten Kind umgeht, wandelte er weitere Caliban-Texte in eine Frage um. »Oder glaubst du, daß Prospero mich aufhetzt gegen dich ?«
Der Trick verschaffte dem Monster ein paar Sekunden Zeit. Wenn es seinen eigenen Text verstanden hatte, konnte es den Inhalt bestätigen, und das Stück würde weitergehen. Leider blieb die erhoffte Reaktion aus, der Vorhangzieher schaute bereits besorgt, die Hand am Seil.
»Ein störrisches Ungeheuer !« improvisierte Stefano ins Publikum und fing, als einige nickten, wieder von vorne an: »Also Caliban, bis jetzt hab ich dir doch wirklich noch nichts getan, oder?«
Das Monster grunzte. Für den Kollegen ein Zeichen der Besserung.
»Na also«, bestätigte der sofort, sah uns Mitspieler an, die wir erleichtert raunten. Wieder waren ein paar Sekunden gewonnen.
Im Innern des fischschuppigen Ungeheuers sah es indes noch düster aus. Zwar wußte es wieder, wo es war, erinnerte sich an Stück und Rolle, weil es aber von der Inszenierung abweichend auf allen Vieren herumkroch, nicht an die Situation und den damit verbundenen Text. Den mußte es sich flüstern lassen. Gusti tat ihr Bestes, ohne auf den vorderen Plätzen gehört zu werden. Mehrmals wiederholte sie ruhig und bestimmt den nächsten Satz, der Dialog mit Caliban ging dummerweise noch weiter.
Ohne Schwächeanfall und Schuppen über den Ohren, hätte das Monster sie auch verstanden, doch es kam nichts. Stefano und wir Mitspieler nickten wieder wie geduldige Tierfreunde, während wir Textsprünge überlegten, dabei einsehen mußten, daß ohne Caliban hier nichts ging. Der hatte sich immerhin so weit gefangen, daß er zur Flasche griff und mit genüßlichem Schluck dem Publikum sein Verhalten und uns sein Befinden verständlich machte. Gusti flüsterte beruhigend weiter. Vergeblich. Das Schuppenkleid ließ offenbar nichts durch; der Vorhangzieher legte auch die andere Hand ans Seil. Plötzlich richtete sich Caliban zu voller Größe auf, rang um Gleichgewicht und lachte besoffen ins Publikum, das amüsiert reagierte, wie im Tierpark. Er hatte sie wieder. Sekunden waren gewonnen. Wie aber wollte er auf diese Entfernung den nächsten Satz erfahren?
Kaum hatten wir’s gedacht, sackte er zusammen. Es war aus. Oder doch nicht? Hatte er nicht eben gerülpst? Bitte, welcher Ohnmächtige tut das schon? Nein, er war noch bei sich, kroch feixend zum Souffleurkasten und steckte den Kopf hinein.
Zuschauer lachten. Sofort zog er ihn wieder heraus, rollte die Augen, grunzte und steckte ihn abermals hinein, länger diesmal, bis er alles verstanden hatte.
Mimisch verwundert, tatsächlich aber Carl Wery bewundernd, sahen wir einander an. Gleich würde es weitergehen. Diesen Gefallen tat uns das Ungeheuer indes nicht. Bei allen Extravaganzen, die man sich in einer solchen Rolle leisten kann, bedachte der wiedererstarkende Caliban, daß eine sofortige Antwort nach zweimaligem Eintauchen in den Souffleurkasten als Textschwäche ausgelegt werden könnte und diese Blöße wollte er sich nicht geben, griff seelenruhig wieder zur Flasche, zeigte, daß es ihm schmeckte, richtete sich ohne Eile auf, wankte, drohte erneut zusammenzubrechen, feixte, weil es ihm
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