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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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etwas schien mich zuhindern, die Kiefermuskeln spielten nicht mit, Kollegen verschwammen, alles wurde fern und wohltuend gleichgültig. Große Ruhe kam über mich, alle Anspannung wich aus den Muskeln, Friede zog ein, zeitlose Wonne.
    So hätte es bleiben können, wäre da nicht ein fernes Fauchen gewesen, ein dumpfes Klopfen, das näher kam, immer näher. Unfähig die Lippen zu bewegen, schlug ich die Augen auf, um den Störer mit Blicken zu strafen und sah undeutlich, wie durch das Netzauge einer Fliege, die Souffleuse aus ihrem Kasten fauchen, dabei mit der Hand auf den Bühnenboden klatschen, um meine Aufmerksamkeit zu erheischen. Die war das also! Mit einem Mal sah ich deutlicher, nahm den Kollegen wahr, der seitlich vor mir auf einem Felsen hockte, faunisch grinsend, als beobachte er ein Liebespaar.
    Da erschien plötzlich der Text in meinem Kopf, der zweite Satz, identisch mit dem, was Gusti Helminger fauchte, und zum ersten Mal wurde mir die Bedeutung meiner kleinen Rolle für das Ganze bewußt. Das durfte ich nicht aufs Spiel setzen! Caliban fiel mir ein. Wie hätte er die Panne gemeistert? Mit Camouflage. Ihm eiferte ich nach. Niemand sollte bemerken, daß ich eigentlich eingeschlafen war, obwohl mir das als Schiffbrüchiger zustand. Ich entschloß mich, meinen für den Fortgang so wichtigen Satz in einer Ouvertüre zu tarnen, die mein langes Schweigen erklärte.
    »Mir war wie im Traum !« begann ich zu entsprechender Geste und hielt, um meinen Zustand zu unterstreichen, abermals inne.
    »Das haben wir gemerkt«, flüsterte der feixende Faun. Ernst sah ich ihn an und sagte ihm meinen zweiten Satz mitten ins Gesicht.
    Das Stück ging weiter. Daß ich an diesem Abend, trotz meisterlich ausgereizter Pausen nicht entdeckt wurde, hing möglicherweise auch mit dem Fasching zusammen: Wenn man besonders gut ist, sitzt nie ein fremder Intendant in der Vorstellung.

Auf höherer Ebene

    D er Schwarzmarkt war hierarchisch geordnet. Die kleinen Schwarzhändler lebten von den größeren und diese von den großen, die Transporte abfingen oder umlenkten und direkten Zugriff zur Mangelware hatten. Heikle Aufgaben überließen die Großen gern den Kleinen, lockten sie mit Beteiligung und machten ihnen das Risiko mit Aufstiegschancen schmackhaft.
    Freund Jörg war ein Kleiner, fühlte sich aber zu größeren Hoffnungen berechtigt, als er mit seinem bulgarischen Kollegen Karajanoff zum Ostbahnhof radelte, wo ein Waggon mit Nährmitteln und Süßstoff für die deutsche Bevölkerung stehen sollte. Daß sie keinem Gerücht auf saßen, verstand sich beim Rang ihres Auftraggebers von selbst. Der Waggon stand da, und auch der Mittelsmann, ein Tscheche, wartete bereits, um sie einzuweisen. Dank straffer Organisation und ausreichender Bestechung, konnten sie ungestört aus dem Vollen schöpfen. Mit kleinen Sacharinpäckchen stopften sie die Seitentaschen ihrer Fahrradgepäckträger voll, auch alle Hosen- und Sakkotaschen. Sie taten es zügig, aber nicht hastig, genossen vielmehr diese Arbeit im großen Stil, bei der man sich geborgen fühlte, wie in einem Konzern oder Syndikat.
    Ohne Polizisten oder Beamten in Zivil zu begegnen, verließen sie das Bahnhofsgelände und strampelten die weiße Schwarz wäre nach Schwabing zu Frau Sigg. Die rundliche Kleinbürgerin war eine der ganz Großen. Wie der Cowboy seinen Sattel, schulterten sie die Gepäcktaschen und trugen sie treppauf in die Wohnung. Frau Sigg empfing sie in einem seidenen Morgenmantel aus anderen Kreisen und bestimmte das vorläufige Versteck — ihr ungemachtes Bett.
    Kaum deckte das noch warme Plumeau die süße Beute, klingelte es an der Tür. Nicht wie Freunde oder Bekannte läuten, sondern insistierend, ohne Wohlwollen. Dafür hatte Frau Sigg ein Ohr. Sie raffte die Seide, griff in die Frisur, öffnete gefaßt, um sogleich in übertriebenes Erstaunen auszubrechen, über die beiden amerikanischen Soldaten, die hereinstürmten, vor allem aber über den kleinen deutschen Jungen, den sie mitbrachten, als eine Art Spürhund, wie sich herausstellte.
    Wieselflink kroch der Bub in alle Ecken, öffnete Schubladen und Türen, immer mit dem gleichen bayerischen Kommentar: »Do is nix. Do is aa nix.«
    Die Soldaten hörten gar nicht hin. Sie hatten es sich in den gewaltigen Sesseln bequem gemacht und zündeten Zigaretten an. Frau Sigg stand reglos neben der Tür. Sie rührten sich auch nicht, als der Kleine mit einer Scheibenwischerbewegung seines Kinderarmes unter einem Schrank

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