Der Sieg nach dem Krieg
Einsatz, der für jeden wieder einmal der letzte sein konnte. Kein fröhliches, gleichwohl das beliebteste Stück, denn wir trugen dick gefütterte Fliegerkombinationen und Pelzstiefel.
Ich sehe uns noch im zugigen Korridor vor dem Spielplan für die nächsten sieben Tage stehen, Axel von Ambesser, Heinrich Sauer, Herbert Kroll, Karl Finkenzeller, und aufatmen: Dienstag, Donnerstag, Samstag Nun singen sie wieder — die Woche war gerettet.
Dauerfrost herrschte auch bei der Oper. Nicht umsonst ist sie des Bürgers liebstes Musenkind. Wohlklang in festlichem Rahmen, bekanntes Repertoire, opulente Ausstattung, schmucke Garderobe, zur Halbzeit Champagner,
Schinkenröllchen, petits fours. Man muß nicht alles verstehen und kann mit störungsfreiem Ablauf rechnen.
Statt des Champagners ein Heißgetränk ohne zusätzliche Gaumenscherze, der Smoking vielleicht verbrannt, aber die Gattin im umgearbeiteten Damastvorhang — so stellte sich das Repräsentationsbedürfnis bei zeitgemäß mäßiger Beheizung ungebrochen zur Schau.
Umso unkonventioneller ging’s auf der anderen Seite des Vorhangs zu. In einer Vertragsangelegenheit benötigte der Intendant die Zustimmung einer Sängerin. Da es sich um eine berühmte Stimme handelte, die obendrein in der kalten Jahreszeit dringend geschont werden mußte, wurde sie nicht ins Theater gebeten — man schickte ihr einen erfahrenen Mitarbeiter in die Wohnung.
Diese Aufgabe fiel dem Franzi in den juristisch unschuldigen Schoß. Noch niemand hatte Verhandlungstalent bei ihm entdeckt, man fand nur, er besitze die kompletteste Krisenausrüstung: Schlagfertigkeit, Charme und ein Fahrrad. Damit machte er sich an einem Minusrekordtag des deutschenfeindlichen Winters 1946/47 auf den Weg. Am Ziel keineswegs sicher, ob ihm die eingefrorenen Gesichtsmuskeln gestatten würden, überhaupt zu sprechen, mußte er mit dem Ellbogen klingeln; die Finger ließen sich aus der gekrümmten Lenkerhaltung nicht so schnell zurückbiegen. Vermummt mit Strickmütze, Mantel und Handschuhen öffnete die Sängerin nur einen Spalt breit, schlurfte in Schlappen voraus ins Zimmer und kroch wieder ins Bett unter ihr Heizpolster aus Decken, Daunen und Felzen. »Machen Sie keinen Quatsch !« sagte sie. »Legen Sie sich zu mir. Ihre sechsunddreißig Grad und meine geben zwar keine zweiundsiebzig, aber anders ist es nicht auszuhalten .«
Der Franzi fand die Einladung zwar nicht ganz kniggefähig, jedoch vernünftig, zog seine Schuhe aus und fädelte sich in die Horizontale. Sie rückte ihm aufs Kammgarn, so nah es die vielen Schichten erlaubten. Unter senkrecht aufsteigen den Atemfahnen aneinandergeschmiegt, kamen sie sofort zur Sache. Was die Intendanz wollte, paßte ihr ganz und gar nicht, dennoch benötigte er kein Verhandlungstalent. Bei aller Sachlichkeit überzeugte seine Nähe. Als sie schließlich JA sagte, verließ er das Bett — auch das ein Novum — zog seine Schuhe an und klirrte ins Theater zurück.
Einmal, während einer Vorstellung mitten im Fasching, hatte ich sozusagen branchenfremde Schwierigkeiten. Nicht eigentlich mit dem Text, wenngleich es Auswirkungen auf ihn gab. Die Privatfeste ballten sich gerade derart, daß der Tag fast noch mehr Stehvermögen erforderte als die Nächte. Wir hatten uns angewöhnt, nicht bis zum Morgengrauen bei einer Adresse zu bleiben, wir pendelten oft zwischen drei und vier Bällen, und das zu Fuß.
Da man lebenswichtige Zahlen nicht vergißt, weiß ich’s noch genau: Nach dem sechsundsechzigsten Fest und der dritten Nacht ohne Bett, stand im Theater Sturm auf dem Spielplan. Da kamen gleich zu Anfang Schiffbrüchige über eine Schräge ins Licht getappt und ließen sich, noch unter Schock, auf Felsen nieder, um sich ihrer wundersamen Rettung bewußt zu werden. Der schleppende Gang gelang mir an diesem Abend mit meinen wundgetanzten Füßen besonders gut. Auch das Abstützen an meinem Felsblock, bevor ich mich vorsichtig niederließ, mußte überzeugend gewirkt haben. Das Innehalten auf der Suche nach Halt war ja echt. Mir wurde kurzfristig schwindelig. Dadurch gelang das Aufatmen, als der geschundene Körper endlich bequem lagerte, wie nie zuvor. Da war kein Anfängerhasten, ich ließ mir Zeit, ich brauchte sie, jede rasche Bewegung hätte Übelkeit verursacht.
Dann war ich dran. Auf Stichwort gelang mein erster Satz, sauber gegliedert, gleichsam von Pausen getragen. Jetzt mußte der zweite folgen. Ich merkte, daß ich ihn dachte und sprechen wollte. Doch irgend
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