Der Siegelring - Roman
Spiegel.
»Ich koche uns einen Kaffee!«, sagte Rose und stellte eine Schale mit Schokoladenkeksen und Pralinen auf den Tisch. »Bedien dich!«
»Danke. Weißt du, die Stadt finde ich ja nicht so besonders charmant, aber hier hast du es richtig schön, Rose.«
»Die Stadt ist praktisch, aber öd, da hast du Recht. Ich habe schon oft überlegt, ob ich mir nicht etwas auf dem Land suchen sollte. Aber jetzt bin ich hier etabliert, und ein Umzug bedeutet puren Stress.«
»Und den magst du nicht.«
»Nee. Wo wohnst du?«, fragte sie von der Küche her, in der sie mit der Kaffeemaschine hantierte.
»Zurzeit bei meiner Mutter. In meinem Elternhaus, was keine Dauerlösung ist. Es gibt da halt im Moment noch ein paar Schwierigkeiten.«
»Mmh, ja. Ich verstehe mich mit meiner Mutter sehr gut, aber länger als zwei, drei Wochen möchte ich nicht mit ihr zusammenwohnen. Man wird erwachsen, nicht?«
»Ja, das sowieso. Ich werde mir bald etwas suchen. Wenn ich diese… gesundheitlichen Probleme einigermaßen gelöst habe.«
Rose kam mit Tassen und Tellern zurück, musterte mich und nickte.
»Ich habe es gelesen. Ich habe danach viel an dich gedacht, Anita. Ach, es war schrecklich! Weißt du, Mama und ich waren in Australien. Wir haben da Freunde, die fast im Busch leben. Wir haben uns kaum um Nachrichten gekümmert, darum haben wir von Vaters Tod erst nach unserer Rückkehr erfahren. Und dass du in dieses Flugzeugunglück verwickelt warst, haben wir noch viel später herausgefunden.«
»Dabei hat die Presse ihrem Publikum doch nichts erspart.«
»Das war entsetzlich, Anita! Ich bin Jul... Vater sehr dankbar, dass er uns aus dieser Schusslinie herausgehalten hat.«
»Ich habe ihn Julian genannt. Hat er dir auch gesagt, dass er den Titel Vater nicht mag?«
Rose nickte.
»Ja, und ich kam mir wahnsinnig wichtig vor. Du dir auch?«
»Klar. Selbst wenn Uschi es dauernd unterstellt hat - seiner Autorität hat das nie Schaden zugefügt.«
»So richtig autoritär war er eh nicht. Zumindest mir gegenüber nicht.«
»Nein, aber er konnte schon sehr gut durchsetzen, was er wollte. Zumindest mir gegenüber!«
»Er war ein wunderbarer Vater, Anita.«
»Ja, das war er.«
Rose putzte sich die Nase, und auch ich musste zum Taschentuch greifen.
»Hast du ihn oft getroffen?«
»Als ich noch klein war, kam er mindestens einmal im Monat vorbei. Manchmal einen ganzen Nachmittag, manchmal nur auf einen Sprung. Oft kam er abends, vielleicht konnte er sich das besser einrichten. Jedenfalls brachte mich das in den Genuss, mir seine Gutenachtgeschichten anhören zu dürfen.«
»O ja, Geschichten erzählen, das konnte er.«
Sie holte die Kaffeekanne und schenkte ein.
»Ja… seine Geschichten. Ich habe sie geliebt. Und später sehr vermisst, denn als ich mit der Schule fertig war, besuchte er uns seltener. Oft habe ich ihn ein halbes Jahr nicht gesehen. Aber, Anita, er hat mir trotzdem viel geholfen. Ich wusste damals beispielsweise nicht so recht, was für einen Beruf ich wählen sollte. Meine Mutter ist Goldschmiedin. Sie ist ungeheuer gut, und mir hätte das auch gefallen. Aber sie und Julian haben mir abgeraten. Sie meinten, ich würde mich ununterbrochen mit ihr vergleichen. Da ist was dran, weißt du. Ich bin keine sehr selbstsichere Person. Na, jedenfalls haben wir festgestellt, dass ich gerne handwerklich und zugleich
ein bisschen künstlerisch arbeiten wollte. Und so kreisten wir das mit dem Glas ein.«
»Es scheint dir zu gefallen!«
»Ja, es macht Spaß. Auch die Ausbildung fand ich toll. Die Technik nicht so, aber der künstlerische Bereich hat mir von Anfang an gelegen.«
»Als Kfz-Mechanikerin wärst du vermutlich weniger glücklich geworden.«
»Igitt, nein!«
»Hast du gleich dieses Atelier gehabt?«
»O nein. Zuerst habe ich es in der industriellen Fabrikation versucht. Als Designerin. Da hatte ich zwar ein regelmäßiges Gehalt, aber das war auch alles, was ich an Positivem daran sehen konnte. Julian hat gemerkt, dass ich dort nicht glücklich war, und er hat mir vorgeschlagen, dass ich mich selbstständig machen sollte. Das bedeutete ein gewaltiges Risiko für mich, Anita!«
»Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Erst muss man investieren, und dann braucht man Aufträge. Ich nehme an, Julian hat dir beim Aufbau finanziell geholfen.«
»Ja. Bist du mir böse deswegen?«
»Warum sollte ich? Er hat das Geld verdient, worin er es investiert, ist doch seine Sache.« Ich verschwieg dezent, dass Uschi
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