Der Siegelring - Roman
hatten ein Bild ergeben. Ich sah es ihrem Gesichtsausdruck an.
»Man sieht nichts mehr davon, nicht wahr?«
»Gute Camouflage, Cilly. Und der Rest steckt unter der Kleidung.«
»Was ist Camouflage?«
»Make-up. Stark deckend.«
»Es tut mir Leid.«
»Das braucht es nicht, Cilly. So nach und nach werden die Narben blasser werden.«
Rose schüttelte missbilligend den Kopf und meinte: »Cilly, du bist ziemlich unmöglich. Was hältst du davon,
wenn du erst einmal in dein Zimmer gehst und uns ein bisschen alleine lässt?«
»Nicht viel, wenn du so fragst. Aber ich merke, wann ich unerwünscht bin! Adios!«
Sie stopfte sich noch zwei Pralinen in den Mund, schwang ihren Rucksack über die Schulter und wandte sich zur Tür.
»Sie ist nicht eben taktvoll«, entschuldigte Rose sich für sie.
»Das macht nichts. Sie ist sehr wissbegierig, nicht wahr? Wohnt sie bei dir?«
»Solange meine Eltern fort sind. Mama begleitet meinen Vater zu einem Kongress. Und Cillys Schule ist von hier aus ungefähr genauso weit entfernt wie von zu Hause. Es ist ganz praktisch so, und Cilly ist nicht besonders anstrengend. Wir kommen gut miteinander aus.«
Eine Weile schwiegen wir beide, suchten nach Themen, über die wir reden konnten, ohne einander zu nahe zu treten. Es war Rose, die dann die Frage stellte, die für mich ein bisschen schwierig zu beantworten war.
»Und was machst du so zurzeit? Ich meine, beruflich?«
»Nichts. Ich schlage die Zeit tot, hänge täglich ein paar Stunden im Fitness-Studio herum, um wieder zu Kondition zu kommen, lese, gehe spazieren und warte auf den nächsten OP-Termin. Ansonsten bin ich verdammt unschlüssig, was ich mit mir anfangen soll.«
»Was hast du vor dem Unfall gemacht?«
»In Ferienclubs gejobbt. Sportkurse gegeben, manchmal auch Zeichen- oder Töpferkurse. Rumgebummelt. Alles Dinge, die jetzt erst einmal flach fallen.«
Rose sah mich interessiert an.
»Ah, auch eine künstlerische Begabung?«
»Mäßig. Ich kann einigermaßen exakt zeichnen, aber keine eigenen Kunstwerke produzieren.«
»Und wie ist das mit dem Töpfern?«
»Die Technik beherrsche ich ganz gut. Ich habe früher in den Ferien oft bei einem Töpfer gearbeitet. Aus einem Klumpen Ton kann ich einen einigermaßen ansehnlichen Krug drehen.«
»Verstehst du was vom Brennen?«
Ich musste grinsen.
»Nicht alles wurde zu Schamott!«
»Und Glasuren?«
»Ja, von farbigem Glasschmelzen verstehe ich auch ein bisschen. Worauf willst du hinaus?«
Jetzt grinste sie ebenfalls.
»Ich könnte Hilfe gebrauchen, Anita. Jemanden, der keine Angst vor dem Feuer hat und sich nicht ständig am Schmelzofen die Finger verbrennt... Au, verflixt! Entschuldige, das war eine selten bescheuerte Bemerkung.«
Ich atmete tief durch.
»Ich achte das Feuer. Ich habe großen Respekt vor allem, was heiß ist. Aber - komischerweise - ich habe keine Angst davor. Auch wenn ich sie, nachdem was passiert ist, vermutlich haben müsste. Meine Alpträume haben andere Inhalte.«
Rose war aufgestanden und hatte sich neben mich auf das Sofa gesetzt. Sehr vorsichtig drückte sie mich an sich. Ich erwiderte die Umarmung, nahm aber ihre Hand von meinem linken Oberarm.
»Was könnte ich denn für dich tun, Rose?«
»Ich habe einen Haufen Aufträge, was natürlich erfreulich ist. Ich könnte zwar jemanden einstellen, aber das ist so eine Sache mit mir. Es würde mich ablenken und wahrscheinlich stören, mit jemand Fremdem zusammenzuarbeiten.«
»Bis vor zwei Stunden, Rose, war ich ebenfalls eine völlig Fremde für dich.«
»Jetzt bist du es aber seit zwei Stunden nicht mehr.«
»Rose, dein Angebot ehrt mich wirklich. Darf ich es mir trotzdem übers Wochenende überlegen?«
»Aber klar. Und, na ja, da ist noch etwas. Viel bezahlen kann ich dir nämlich nicht. Ich bin halt erst im Aufbau begriffen.«
»Wenn du wüsstest, für welchen Hungerlohn ich bisher gearbeitet habe... Nein, darum geht es mir nicht. Julian hat schon dafür gesorgt, dass ich kein Sozialfall werde. Lass uns bis Montag warten, dann sage ich dir, ob das etwas für mich ist. Ich brauche für Entscheidungen manchmal ein wenig Zeit.«
»Ich war ja auch unverschämt voreilig. Rufst du mich an?«
»Natürlich. Und jetzt mache ich mich wieder auf den Weg. Ich werde Uschi diesen Besuch beichten, was hundertprozentig zu äußerst unerquicklichen Szenen führen wird.«
Sie brachte mich zur Tür und schlug vor:
»Verschweig es ihr doch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das hat Julian so
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