Der Siegelring - Roman
praktiziert. Ich denke, es ist besser, ich schenke ihr von vornherein reinen Wein ein. Irgendwann kriegt sie es ja doch raus. Und dann bin ich zusätzlich der Bösewicht, weil ich sie hintergangen habe.«
»Sie ist wohl ein bisschen schwierig, deine Mutter.«
»Milde ausgedrückt - ja. Der Tod meines Vaters, der ganze Presserummel und jetzt auch noch die Eröffnung, dass da eine weitere Tochter existiert, das hat sie sehr mitgenommen. Sie neigt leicht zur Hysterie. Ich ruf dich am Montag an, einverstanden?«
»Ja, mach’s gut, Anita.«
7. Kapitel
Der Siegelring
Wie erwartet nahm Uschi die Nachricht von meinem Besuch bei Rose ungnädig auf. Sie sagte zwar nicht viel dazu - ihre Selbstbeherrschung hatte sie in den vergangenen Wochen wiedererlangt -, aber ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Für sie war ich eine Verräterin.
Ich zog mich früh zurück, um nachzudenken. Roses spontanes Angebot hatte mich gerührt, und wenn ich es recht überlegte, wäre es zumindest für eine Weile eine gute Lösung. Das handwerkliche Geschick, das die Arbeit bei ihr erforderte, würde ich mit einiger Übung aufbringen. Zwar war mein linker Arm noch nicht voll einsetzbar, und ich musste noch starke Schmerzmittel nehmen, die zuweilen meine Konzentrationsfähigkeit merklich einschränkten, aber das bekämen wir sicherlich miteinander auf die Reihe. Zumindest würde mich die Beschäftigung vom Grübeln ablenken. Nebenbei bestand die Chance, mich auf diese Weise näher mit meiner Schwester anzufreunden und etwas Distanz zu Uschi zu schaffen. Auch wenn das Haus weitläufig war - wir begegneten uns doch zu oft. Da wir beiden nicht in der besten seelischen Verfassung waren, wurde das Zusammenleben zu einer echten Belastung.
Ich schlief über meinen Plänen ein, und als ich am Morgen erwachte, stand mein Entschluss fest. Allerdings würde ich Rose im Gegenzug zu ihrem Angebot mein eigenes unterbreiten.
Mit Elan durchforstete ich die Immobilienanzeigen
der Samstagszeitung. Eine Zweizimmerwohnung würde für den Anfang ausreichen. Die Angebotslage war nicht schlecht, und schon am Nachmittag hatte ich drei Besichtigungstermine. Uschis bohrenden Fragen nach meinen Unternehmungen wich ich diesmal feige aus. Erst wenn ich alles geregelt hatte, würde ich sie vor vollendete Tatsachen stellen.
Das Glück ist mit den Energischen: Die zweite Wohnung war ideal. Nicht zu weit von Roses Werkstatt entfernt, aber nicht im Industriegebiet, frisch renoviert und sofort bezugsfähig. Ich unterschrieb den Mietvertrag und vereinbarte einen Einzugstermin in der übernächsten Woche.
Rose freute sich aufrichtig, als ich ihr sagte, dass ich ihr Angebot annehmen würde. Sie freute sich auch darüber, dass ich in ihre Nähe ziehen wollte. Beides war Uschi selbstverständlich ein Dorn im Auge. Aber große Einwände hatte sie nicht, und es blieb mir glatt eine Szene erspart. Im Grunde schien sie froh darüber zu sein, dass ich so fix eine eigene Wohnung gefunden hatte. Ich verbrachte die Woche damit, den Umzug zu organisieren. Vor Jahren hatte ich schon einmal eine eigene Wohnung besessen, deren Möbel ich auf dem Dachboden untergestellt hatte. Neuanschaffungen waren also erst einmal nicht nötig. Aber der Verwaltungskram musste erledigt werden, und ich war ziemlich ausgelastet.
Dann war ich endlich umgezogen, hatte mich mit Rose arrangiert und ihr meinen Vorschlag unterbreitet. Der eine war, dass ich ihr bei den handwerklichen Tätigkeiten zur Seite stand. Was mich aber weitaus mehr reizte, war, ihr zu künstlerischer Anerkennung zu verhelfen. Nachdem ich noch einige Glas-Kunstwerke von ihr gesehen hatte, war ich überzeugt, dass sie den Schwerpunkt
ihrer Arbeit darauf verlegen sollte. In meinen Augen war sie ungemein talentiert. Wenn wir uns etwas zusammengerauft hatten, wollte ich eine Ausstellung für sie organisieren. Rose zögerte zwar ein bisschen, aber ich sah das Fünklein Ehrgeiz in ihren Augen aufglimmen, und das reichte mir für den Anfang.
Und dann erhielt ich das Geschenk aus dem Reich der Toten.
Ein gepolsterter Umschlag war es, den ich abends aus dem Briefkasten fischte. Der Absender war die von Dr. Schneiders Kanzlei, und mir grauste vor weiteren Formalitäten im Rahmen der Erbschaft.
Aber es war nur ein kurzes Anschreiben von Dr. Schneider, der mich darauf hinwies, dass dieser Brief an das Hotel auf Gran Canaria gegangen war, nach dem Flugzeugunglück an das Krankenhaus und von dort über die Fluggesellschaft weitergeleitet worden
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