Der Siegelring - Roman
sie erwartete. Auch hier gab es zierliche Sessel und Tischchen, einen geschnitzten Wandschrank und zwei hochlehnige Liegen. Die Wände waren in regelmäßige Rechtecke aufgeteilt und so bemalt, dass der Eindruck einer Säulenhalle entstand. Den Boden bedeckte ein schwarz-weißes Mosaik in einem geometrischen Muster.
Die Hausherrin, in einer lichtgrünen Stola, lehnte halb liegend auf der einen der Klinen. Sie war zart geschminkt, duftete nach Rosen, und um ihren Kopf bauschten sich die schwarzen Locken, die mit grünen, silberbestickten Bändern durchzogen waren.
»So etwas hast du wohl noch nicht gesehen, Barbarin, was?«, begrüßte Rosina ihre Besucherin, die mit einem schnellen Blick die Einrichtung und die Bewohnerin maß.
Der hochmütige Ton reizte Annik zu einer abfälligen Antwort, und sie sagte mit einem abschätzenden Blick: »Nun, ich habe schon auf kunstvolleren Mosaiken gestanden, und die Wandbemalung dünkt mir im oberen Bereich etwas plump. Aber die verglasten Fenster zeichnen sich durch beachtliche Transparenz aus.«
Zu ihrer Überraschung lachte Ulpia Rosina hell auf und erhob sich.
»Das habe ich wohl verdient, Töpferin Annik. Es stimmt leider, die oberen Ranken sind hier und da nachlässig gemalt, aber die Glasscheiben habe ich selbst geschliffen und poliert, und damit sind sie natürlich erheblich besser als alles, was sonst so angeboten wird.«
Jetzt war es an Annik, überrascht auszusehen.
»Ihr bearbeitet Glasscheiben?«
»Nebenher. Erzähl mir von dir, Annik. Gratia hat dich ausgefragt, ich weiß, aber mich interessiert deine Arbeit.«
Annik nahm die Einladung an, sich in einen der Sessel zu setzen. So ganz ernst nahm sie Ulpia Rosinas Interesse nicht. Aber die vornehme Patrizierin wollte freundlich sein, und darum sprach sie über das Formen von Schalen und Krügen und deren Dekorationsmöglichkeiten.
»Schön, du kannst also mehr als nur Ziegel brennen. Dann solltest du dir das Geschirr ansehen, das wir hier im Haus verwenden. Valerius Corvus hat vor Jahren arretinische Ware gekauft, und der alte Töpfer hat versucht, so etwas Ähnliches herzustellen. Na ja, sehr ähnlich ist es nicht geworden. Es wäre gut, wenn du es besser hinbekommen würdest. Arretinisches Geschirr ist hier schwer zu beschaffen.«
»Ich weiß. Wenn ich ein Beispielstück haben könnte?«
»Ich gebe dir eine Schale mit. Es muss nicht genau dasselbe Muster sein, aber gar so grob wie das seine sollte es auch nicht werden.«
»Ich werde mich bemühen, Domina, aber die Herstellung braucht Zeit, und ich benötige ganz bestimmte Materialien. Übermorgen ist da nichts fertig.«
»Ich weiß. Sag Charal, was du brauchst.« Sie ging in den Nebenraum und kam mit einer Schale zurück. »So ungefähr sollte das Muster aussehen!«
»Das ist ja Glas!« Annik streckte die Hand aus und
nahm ihr die Schale ab. Das beinahe farblose Glas war transparent und hatte eingeschliffen eine umlaufende Ranke aus Weinblättern. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Es ist sehr schön!«
»Etwas aufwändiger als Glasscheiben zu polieren ist das schon.«
»Ihr macht auch diese Dinge selbst?«
»Ja.«
»Aber dazu...«
»... braucht man eine Werkstatt und Handwerkszeug. Du findest sie in der Ecke von der westlichen zur nördlichen Mauer.«
»Ihr seid eine Handwerkerin wie ich?«
»Ich bin eine Künstlerin. Du bist die Handwerkerin.«
Die Zurechtweisung kam sehr schnippisch.
»Verzeiht, natürlich.«
»Oder bist du auch eine Künstlerin?«
»Das zu beurteilen überlasse ich Euch, wenn Ihr meine Produkte seht«, sagte Annik und fügte dann mit einem Grinsen hinzu: »Vor allem die Ziegel!«
»Wenn sie so gut werden wie meine Fensterscheiben …!«
Als Annik etwas später zu ihrer Werkstatt zurückging, war sie sich unschlüssig, was sie von Ulpia Rosina halten sollte. Die Hausherrin schien ihr etwas unausgeglichen zu sein, aber irgendwie konnte sie ihr die gelegentlichen Ausfälligkeiten nicht übel nehmen. In gewisser Weise hatte sie sogar Mitleid mit der gepflegten, zarten Frau, die mit ihren sechsundzwanzig Jahren gleichaltrig mit ihr war. Ulpia Rosina hatte einige Worte über ihr Herkommen verloren, und so wusste Annik, dass sie erst vor drei Jahren von Tarraconensis nach Rom gekommen war und dort eine kurze Zeit bei ihrer Tante
Pompeia Plotina und Ulpius Traianus gelebt hatte. Wenig später war sie mit dem Paar in das kühle, graue Germania Inferior gezogen, in dem Traianus Statthalter war. Dort war sie mit Valerius
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