Der Siegelring - Roman
Der Herr hat dich ohne mein Wissen eingestellt!«
Verbitterung klang in diesen Worten mit.
»Ich stehe Euch gerne zur Verfügung, Domina, doch Ihr seid zu einem ungünstigen Zeitpunkt gekommen. Gebt mir die Möglichkeit, mich zu säubern und meine Wunden zu verbinden.«
»Natürlich. Kommt nach der Mittagsstunde zum Haus und fragt nach mir.«
»Gerne, Domina!«
»Komm mit, Ursa!«
Mit wiedererlangter Würde drehte Ulpia Rosina sich
um und schritt vor der Haushälterin in Richtung Villa. Gratia allerdings blieb neben dem Wassereimer stehen und betrachtete Annik eingehend.
»Ich hab dich schon mal gesehen!«
Annik wusch sich mit einem nassen Lappen Gesicht und Hände. Die Wunden brannten, und in ihrer Schläfe pochte es. Aber sie nahm sich zusammen und sah das Mädchen an.
»Ja, ich dich auch. Vor einigen Tagen in der Colonia. In Begleitung deiner Mutter.«
»Stimmt. Du hast mit einem blonden Mann gemeinsam Fladenbrote gegessen. Aber Rosina ist nicht meine Mutter. Nicht meine richtige, meine ich. Sie ist Vaters zweite Frau. Seit gerade mal zwei Jahren.«
»Entschuldige.«
»Konntest du ja nicht wissen. Woher kommst du? Wer war der Mann? Seit wann bist du hier? Wieso sprichst du unsere Sprache so gut?«
Annik musste trotz der Schmerzen lachen.
»Eins nach dem anderen. Ist mein Gesicht jetzt sauber?«
»Nein. Gib mal her!«
Gratia nahm den Lappen und wischte vorsichtig die letzten Aschespuren von Anniks Brauen.
»Hat schon aufgehört zu bluten. Aber ich schicke dir Ursa mit ihrer Salbe. Und jetzt - woher...«
»Schon gut, du kriegst deine Antworten. Ich komme aus Nordgallien, von einem Land am Meer.«
»Ist das weit weg?«
»Wir haben beinahe zwei Monde für die Reise gebraucht. Ich denke, es ist weit weg.«
Annik zog sich das staubige Tuch vom Kopf und schüttelte ihren langen Zopf frei.
»Uii, hast du schöne Haare. Du bist eine Gallierin?«
Annik nickte lächelnd.
»Eine Gallierin oder eine Keltin, wie du beliebst.«
»Es gab hier früher auch mal Gallier, sagt man. Eburonen nannten sie sich. Aber Julius Caesar hat sie niedergemetzelt und die Ubier hier angesiedelt. Jetzt wohnen nur noch ganz wenige in den Wäldern. Aber sie machen uns viel Ärger!«
Es hörte sich sehr altklug an, was Gratia da erklärte, und Annik musste sich ein Schmunzeln verkneifen.
»Nun, ich werde keinen Ärger machen.«
»Mal sehen. Jedenfalls hat Vater darauf bestanden, dass wir mit einer ganzen Eskorte zum Schutz reisen mussten, als Rosina und ich von der Colonia zurückkamen. An den Iden des Septembers ist nämlich der Senator Publius Fabius Pontanus überfallen worden. Das war vielleicht eine Sache! Hast du davon gehört?«
»Nein, wie sollte ich? Was ist denn passiert?«
»Na, der Senator soll einen Posten in der Colonia übernehmen und ist mit großem Gefolge und seinem ganzen Hausstand von Rom umgesiedelt. Bis zur Castra Bonnensia ging alles ganz gut, aber dann musste er durch die Wälder. Warst du schon mal hier im Wald?«
»Nein, dazu hatte ich bisher weder Veranlassung noch Zeit, Gratia.«
»Tu es nicht, vor allem nicht alleine. Sie sind unheimlich! Jedenfalls hat man den Senator in eine falsche Richtung gewiesen, und der Weg, den er genommen hat, führte in den dunklen, dichten Wald. Er wurde enger und enger, und als er endlich merkte, dass er nicht weiterkam, war es kaum mehr möglich zu wenden. Außerdem wurde es dunkel!« Mit sichtlichem Genuss schilderte Gratia die Geschehnisse. »Sie haben versucht, umzudrehen, aber da fiel plötzlich ein Baum hinter ihnen um und versperrte den Weg. Und vor ihnen stürzte ebenfalls ein
Baum um. Es war ansonsten ganz, ganz still im Wald, und es tat sich überhaupt nichts. Nun saßen sie in der Falle. Sie konnten erst einmal nichts anderes machen, als zu warten, bis er wieder hell wurde. Die Frau, die Tochter und die Schwester des Senators saßen in ihrem Reisewagen fest und haben sich nicht rausgetraut. Der Senator selbst hat seine Leute um sich versammelt. Sie wollten die Nacht über Wache halten, aber am Morgen war die Hälfte der Männer spurlos verschwunden. Die drei Frauen auch. Und die Wagen mit ihrem Besitztum waren leer geräumt. Der Senator hat die restlichen Männer angewiesen, die Frauen zu suchen, aber das war wohl ziemlich unklug. Sie verschwanden ebenfalls. Und er hat sich dann notgedrungen zu Fuß aufgemacht. Reichlich abgerissen kam er zu einem Bauernhof, wo man ihm dann geholfen hat.«
»Sind die Frauen und seine Leute wieder
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