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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nicht. Vater wird Gerichtstag halten. Da muss ich dabei sein. Und weißt du, vielleicht solltest du das ebenfalls. Es ist so, dass sich der ganze Haushalt versammelt, um zu hören, wie er die Fälle klärt.«
    Annik nickte. Dass der Hausherr zusätzlich der Richter in seinem eigenen Bereich war, war in ihrem Lebenskreis üblich, und so manchem Gerichtstag hatte sie früher beigewohnt.
    »Ist er ein guter Richter?«
    »Er ist ziemlich gerecht, denke ich. Aber er kann auch harte Strafen aussprechen.«
    »Welche Art von Strafen kennt ihr?«
    »Meist sind es Abgaben oder zusätzliche Arbeiten zur Wiedergutmachung eines Schadens. Manchmal setzt er Auspeitschungen an, aber am schlimmsten, glaube ich, ist es für die Leute, wenn er jemanden fortschickt. Das ist nämlich unehrenhaft.«
    »Ja, so kenne ich es auch.«
    »Aber es wird nicht nur Recht gesprochen, ebenso werden Verträge gemacht und Pacht bezahlt. Du wirst ihm gewiss vorgestellt werden.«
    »Na, ich bin gespannt auf den Pater familias. Und jetzt halte die Scheibe langsam an, mir will scheinen, dass diesmal ein wahres Meisterwerk an Becher entstanden ist.«
    »O ja, ich habe gar nicht so darauf geachtet. Der ist wirklich gut geworden.«

    Vorsichtig stellte Annik das kleine Gefäß auf ein Holzbord, wo es trocknen sollte.
     
    Die erste Begegnung zwischen Annik und Titus Valerius Corvus verlief nicht zur Gänze harmonisch. Der Hausherr kam noch am selben Abend. Er ritt ohne Begleitung den Weg zu der Remise empor, als Annik gerade einen Eimer Wasser aus dem Brunnen dort hochhaspelte. Sie sah ihn auf dem hohen Rappen sitzen, ein weites Pallium um die Schultern gelegt - eine imposante Gestalt, obwohl die lockigen schwarzen Haare und der krause Bart schon von Grau durchzogen waren. Er hatte ihr die linke Seite seines Gesichts zugewandt, die von einer tiefen Narbe gespalten war. Das Lid seines Auges hing dadurch hinunter und gab ihm einen grausamen Zug. Zu ihrem eigenen Entsetzen starrte Annik ihn an und ließ das Wasser im Eimer auf ihre Füße schwappen.
    »Diese und andere Wunden schlugen mir euresgleichen, Barbarin!«, herrschte er sie an. »Geh mir aus dem Weg!«
    Annik nahm ihren Eimer und tat ein paar Schritte zurück. Doch sie konnte die Augen von dem Mann nicht wenden. Ein Stalljunge kam angelaufen und nahm die Zügel des Pferdes in Empfang, ein anderer nahte mit einem starken Holzstock, der am oberen Ende einen runden Elfenbeingriff hatte. Valerius Corvus schwang sich vom Pferd und griff nach dem Stock.
    »Hast du dich noch nicht genug an meinem Anblick geweidet, Barbarin? Willst du mich auch noch zum Haus humpeln sehen?«
    »Verzeiht, Dominus. Ich bin entsetzlich unhöflich.«
    »Ungehobelt, taktlos und unkultiviert!«, raunzte er sie an.
    »Eine Barbarin eben, Dominus!«

    Annik musterte ihn nach wie vor unverwandt, und sie vermeinte, ein winziges Aufblitzen in seinen Augen gesehen zu haben. Zumindest blieb er stehen und fragte in einem etwas weniger rauen Ton: »Wer bist du?«
    »Annik, die Töpferin.«
    »Jupiter, ich vergaß! Falco sprach von einer Gallierin, die mit Ton zu matschen versteht. Gewöhn dich an meinen Anblick, so sehr er dich auch anwidern mag. Ich bleibe einige Wochen hier.«
    Er wollte sich abwenden, aber Annik sagte laut und deutlich: »Ich habe schon mehr Narben gesehen und schlimmere als die Euren, Dominus. Sie widern mich nicht an!«
    »Was?«
    »Ich stamme aus einem Volk, Dominus, das zu kämpfen gewöhnt ist. Keiner von uns wird alt, ohne die Zeichen des Lebens empfangen zu haben. Manche sieht man deutlich, andere sind versteckt.«
    Er betrachtete sie mit einem intensiven Blick, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging sehr aufrecht und nur mit einer kaum merklichen Steifheit seines rechten Beines zur Villa.
     
    Annik sah den Hausherrn den nächsten und übernächsten Tag einige Male von weitem. Er schien sich intensiv um das Geschehen auf dem Gut zu kümmern und war stets in Begleitung von Charal und Ursa oder den Pächtern und Arbeitern anzutreffen. Gratia lief ihm, so oft es ihr möglich war, wie ein kleines Hündchen hinterher und ließ sich in der Töpferei nicht blicken. Dafür hatte aber Feli Feli ihr Lager in Anniks Hütte aufgeschlagen. Sie betrachtete die weiche Decke auf dem Bett als passende Unterlage für ihre Ruhezeiten. Ulpia Rosina war, so hieß es, unpässlich. Seit Annik ihren Gatten zu Gesicht bekommen
hatte, verstand sie diese Reaktion ein bisschen besser. Rosina liebte die Schönheit, umgab sich

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