Der Siegelring - Roman
Katze hat noch ein Junges bekommen und ist gestern gestorben, die Arme. Das hier ist gerade drei Monate alt, und ich will es behalten. Ist die nicht süß!«
Aus dem rotgoldenen Gesichtchen schauten zwei grüne Augen vertrauensvoll zu Annik auf, und das ganze Geschöpf schnurrte vor Wonne in der warmen Umarmung des Mädchens. Man konnte sich seinem Zauber einfach nicht entziehen.
»Sie hat dich offensichtlich als neue Mutter akzeptiert. Jetzt hast du eine große Aufgabe vor dir. Du musst
ihr beibringen, wie man Mäuse jagt, sich putzt und dem Hund entkommt.«
»Das kann sie alles schon, glaube ich!«
»Bestimmt? Auf jeden Fall kann sie sich glücklich schätzen, denn ich habe den Verdacht, dass du sie mehr verwöhnen wirst als ihre eigene Katzenmutter.«
»Aber sie ist doch so niedlich.«
»Das sind kleine Katzen immer. Das ist ihre Aufgabe. Wie nennst du sie?«
»Na, ›glückliche Katze‹, wie du gesagt hast. Felis felix.«
»Ein Zungenbrecher. Feli reicht!«
»Feli Feli!«
»Na gut. Leg sie auf die Decke dort und setz dich an die Scheibe. Ich zeige dir, wie man einen Becher dreht.«
»Fein!«
Feli Feli wurde auf den Boden gesetzt, verschmähte die Decke und begann ihre Inspektion der Werkstatt. Gratia zog sich ein Leinentuch über ihr Kleid und ließ sich in die Kunst der Tonbearbeitung einweisen. Dabei plapperte sie gut gelaunt daher.
»Mein Vater kommt wahrscheinlich morgen nach Hause. Rosina hat schon wieder ihren ersten Anflug von Kopfschmerzen.«
»Liegt es an den vielen Arbeiten, die zu seinem Empfang erledigt werden müssen?«
»Sie hat Kopfschmerzen, weil sie ihn nicht mag. Ich finde sie ja blöd, denn mein Vater ist sehr gutmütig zu ihr. Er hat ihr letztes Jahr sogar die Werkstatt für ihre Glasschleiferei herrichten lassen. Und er bringt ihr regelmäßig schöne Kleider und Schmuck aus der Stadt mit.«
»Ach, Gratia, weißt du, vielleicht ist es gar nicht seinetwegen. Ich denke manchmal, die Domina sehnt sich nach ihrer Familie.«
»Sie sehnt sich nach dem griechischen Künstler, der ihr die Arbeit mit dem Glas beigebracht hat. Man sagt, sie hatte ein Verhältnis mit ihm. Und er sei ein wunderschöner junger Mann gewesen. Vater hingegen... Na, du wirst ja sehen. Er ist siebzehn Jahre älter als sie und hat zwanzig Jahre in der Legion gedient.«
»Du solltest kein Geschwätz und keine Gerüchte weitererzählen, Gratia.«
»Das ist weder Geschwätz noch Gerücht. Annik, ich mag Ulpia Rosina recht gerne, und zu mir ist sie meistens ganz lieb. Aber ich finde es nicht nett, wie sie meinen Vater behandelt. Er darf nicht mal in die Nähe ihres Schlafzimmers kommen, dann kriegt sie schon ihre Krämpfe, und Ursa muss sie mit ihren Tränken und Kräutern behandeln.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Na ja, Vater ist nun mal kein so prächtiger Mann wie dein Martius.«
Annik schüttelte missbilligend den Kopf und forderte das Mädchen auf, sich auf den Tonklumpen in der Mitte der Scheibe zu konzentrieren und eine gleichmäßige Drehgeschwindigkeit beizubehalten.
Martius war wie versprochen zwei Tage nach dem Marktbesuch auf dem Gut aufgetaucht. Er war sogar offiziell unterwegs. Falco hatte ihn zum Kurierreiter zwischen dem Legionslager Castra Bonnensia und der Colonia ernannt. Da das Gut ziemlich genau auf der Hälfte der Strecke nahe der Verbindungsstraße lag, war der Besuch kein Umweg für ihn. Annik freute sich, ihn zu sehen, wenn er auch nur kurze Zeit bleiben konnte. Aber solange er den Kurierdienst übernahm, würde er häufiger die Möglichkeit haben, sie aufzusuchen. Kurz vor dem Aufbruch bat er sie, ihn zur Hausherrin zu führen, da er den Auftrag hatte, sich nach möglichen Botschaften an Valerius Corvus bei ihr zu erkundigen.
Annik brachte Martius zur Villa und hieß die Dienerin,
Ulpia Rosina zu bitten, den Kurier zu empfangen. Während die Frau nach der Hausherrin suchte, verabschiedete Annik sich von Martius, denn in ihrem groben, tonverschmierten Kittel wollte sie die Villa nicht betreten. Und so erlebte sie nicht, wie ihr Freund erstarrte, als Ulpia Rosina, zart und duftend, ihn mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. Es wunderte sie nur, dass Martius, der es doch so eilig gehabt hatte, erst bei Sonnenuntergang davon ritt.
»Schau, ist das so richtig, Annik?«
Gratia betrachtete das vor sich hintrudelnde Gefäß auf der Töpferscheibe
»Im Prinzip ja. Aber - mmh - man kann es als Kunstwerk durchgehen lassen. Als Trinkgefäß scheint es mir ein wenig zu schief geraten
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