Der Siegelring - Roman
veränderte sich sein Gesichtsausdruck abrupt. Und ich fragte mich, ob es wegen der gläsernen Kunstwerke war oder ob das die zerbrechliche Schönheit meiner weiß gekleideten, goldhaarigen Schwester bewirkte.
»Halleluja. Eine Schönheit in Eis!« Er drehte sich zu mir um. »Deine - äh - Freundin Rose?«
»Rose, die Glaskünstlerin. Bilder von den Objekten, Marc. Nicht nur von ihr!«
Cilly sah uns kommen, und ihre Augen blitzten verräterisch. Ich wusste, was sie dachte und welche Vergleiche sie anstellte. So hatte sie sich Martius vorgestellt. Ehrlich gesagt - ich auch. Und Rose?
Rose sah begeistert aus und leckte sich sozusagen die Lippen. Nun ja.
Es lief nicht schlecht. Marc fotografierte tatsächlich mit Hingabe die Glasobjekte und flirtete wie der Teufel mit Rose und sogar mit Cilly. Ich war aus seinem Bewusstsein gelöscht. Aber vermutlich zeichnete gerade das seine konzentrierte Professionalität aus, die zu erstaunlichen Ergebnissen führte. Ich hatte nämlich inzwischen unter anderem einen Bildband von ihm gefunden, der doch tatsächlich Landschaftsaufnahmen zeigte. Er hatte mich beeindruckt. Marc hatte die Seele eines
Abenteurers, der für ein gutes Bild letztlich bereit war, sein Leben zu geben.
Er würde auch als Liebhaber so sein - für eine Weile unendlich faszinierend. Aber nicht zu halten, wenn neue Abenteuer lockten. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es in seinem Leben eine Annik gegeben hatte. Eine Frau, die ihn aus einer Krise heraus eine Zeit lang an sich gebunden hatte und der seine Freundschaft und Verehrung galt. Es war schon fast so etwas wie eine Herausforderung, das zu erforschen.
Als er mit den Aufnahmen fertig war, blieb er hartnäckig an Roses Stand. Jetzt war ich für ihn auch wieder sichtbar, und er versuchte noch einmal, eine Verabredung mit mir zu treffen.
»Sorry, Marc, nicht heute, nicht morgen und nicht nächste Woche. Danach, einverstanden?«
»Ich bin noch bis Mittwoch hier, dann erst wieder in zwei Wochen.«
»Dann in zwei Wochen. Du weißt ja inzwischen, wie du mich erreichst!«
»Nun, dann leb wohl, schöne Anita. Mehr ist hier wohl nicht drin!«, meinte er dann spöttisch grinsend und beugte sich formvollendet über meine Hand, die er zum Kuss an seine Lippen ziehen wollte. Doch er hielt inne und starrte auf den Siegelring.
Mir wurde kalt.
»Was ist?«, fragte ich.
»Es... Mmh, komisch. Weißt du, was ein Déjà-vu-Erlebnis ist?«
»Ja.«
»Dieses Pferdchen - ich habe es schon einmal gesehen!«
»Nicht an mir. Es ist ein Erbstück, das ich erst vor kurzem erhalten habe.«
Er küsste mir nun doch die Hand und lachte mich wieder an.
»Ich werde alt, solch ein Spinnkram liegt mir eigentlich gar nicht. Ich melde mich, wenn ich wieder zurück bin. Ciao, ihr Schönen!«
»Der bricht über einen herein wie ein Naturereignis!«, stellte Rose fest, als er außer Hörweite war.
»Ja, man braucht Nerven wie Drahtseile bei ihm. Gibst du ihm den kleinen Finger, ist der Arm bis zum Schultergelenk weg!«
»Was wird er mit den Fotos anstellen?«
»Keine Ahnung. Wenn er uns wirklich gefallen möchte, dann schiebt er sie der Lokalpresse unter. Wenn nicht, bekommst du vermutlich die Abzüge und kannst eine wunderbare Präsentationsmappe daraus machen.«
»Sag mal, was ist eigentlich mit Cilly los? Die ist ja so ungewöhnlich schweigsam!«
Ich betrachtete das Mädchen, das mit verträumtem Blick zum Ausgang starrte.
O nein, Amors Pfeil hatte sein Opfer gefunden!
»Cilly! Aufwachen! Der ist nichts für dich!«
»Doch, Anita. Der isses!«
»Vergisses!«
»Nein. Nie!«, sagte sie mit großem Ernst und tiefer Inbrunst.
»Er ist doppelt so alt wie du!«
»Na und?«
»Okay, wir sprechen später darüber.«
Besucher kamen und gingen, wir redeten und redeten, verkauften, erklärten, verteilten Kärtchen, verschenkten weiße Rosen, bis gegen Abend der Andrang nachließ. Erschöpft räumten wir auf. Morgen war noch so ein Tag, womöglich noch ein anstrengenderer. Aber die
Zwischenbilanz war hervorragend. Als wir in Roses Wohnzimmer saßen und total kraftlos auf den Pizzaservice warteten, seufzte sie tief zufrieden: »Ich glaube, ich kann es doch!«
»Ja, du kannst es. Die nächste Ausstellung ist nur für dich!«
»Aber nicht mehr dieses Jahr.«
»Nein, das wird zu knapp.«
»Und außerdem brauchen wir die Wochenenden, um an der römischen Geschichte weiterzuarbeiten«, betonte Cilly, die in dem Ausdruck gelesen hatte. »Ich will mehr von Martius
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