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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Domina?«
    »Hier. Ich kann nicht hinaus!«
    Annik ging der Stimme nach und gelangte vor einen Steinhaufen. Ein alter Dolmen, halb zusammengebrochen, lag zwischen rankendem Gewächs.
    »Seid Ihr da drinnen, Domina?«
    »Ja, und es ist grauenvoll!« Die Stimme war zittrig, aber eindeutig die Rosinas.
    »Wenn Ihr hineingekommen seid, müsst Ihr auch wieder hinauskommen!«
    »Nein, nein, die Geister haben den Ausgang versperrt.«
    »So kräftig sind die hiesigen Geister nicht«, sagte Annik, obwohl sie sich nicht ganz wohl bei der Aussage fühlte. »Ihr müsst durch einen Spalt geschlüpft sein, und der muss noch da sein. Sonst würde ich Euch doch nicht hören!«

    »Aber es ist ganz dunkel hier!«
    »Das ist es draußen auch. Tastet Euch an der Wand lang, richtet Euch nach meiner Stimme.«
    »Es... es ist ekelig!«
    »Sicher, aber wenn Ihr raus wollt, müsst Ihr Euch überwinden.«
    Rosina blieb eine Weile still, währenddessen tastete auch Annik eilig die moosigen Steine ab und redete ununterbrochen, um der Gefangenen die Richtung zu weisen. Es gab einen Spalt, natürlich. Er war schmal, aber die zierliche Rosina würde mit einiger Anstrengung hindurchpassen.
    »Hier, Domina. Hier, kommt her!«
    »O ja. Wirklich. Aber da passe ich nie durch.«
    »Ihr seid reingekommen, also kommt Ihr auch wieder hinaus. Die Angst hat Euch bestimmt sehr viel schmaler gemacht, als Ihr Euch vorstellen könnt. Versucht es seitlich!«
    Ein Arm kam durch den Spalt, und Annik ergriff die Hand und drückte sie tröstend.
    »Weiter. Sucht eine Stelle, wo Euer Kopf durchgeht, der Rest gelingt dann von alleine. Selbst wenn es ein paar Schrammen gibt!«
    Rosina schien etwas Mut gefasst zu haben. Sie hörte sich nicht mehr ganz so verängstigt an.
    »Ich bin sowieso völlig zerkratzt, auf einen Kratzer mehr oder weniger kommt es nicht an.«
    »Das ist schon besser. Los jetzt.«
    Es dauerte einige Zeit, bis Rosina sich schweigend nach und nach aus dem Dolmen gewunden hatte. Völlig verschmutzt und mit zerrissenem Gewand ließ sie sich zu Boden gleiten und lehnte sich an den Stein.
    »Juno sei Dank, dass du mich gefunden hast, Annik. Aber wieso?«

    »Gratia hat Euch vermisst. Sie kam zu mir.«
    »Und warum hast du mich hier im Wald gesucht?«
    Rosinas Stimme war voller Misstrauen, und Annik verbiss sich ein Lächeln.
    »Ich dachte, Ihr wolltet vielleicht zu den Matronen. Ich weiß, dass auch Ihr ihnen manchmal Blumen bringt.«
    »Du weißt von dem Weiheplatz?«
    »Ich fand ihn im letzten Herbst. Er ist sehr schön.«
    »Ja, ja, ich war dort. Und dann kam der Nebel, und ich muss mich verirrt haben. Es ist schrecklich hier im Wald. Es gibt Wesen... Lichter und Stimmen... Sie locken einen in die falsche Richtung.«
    »Lichter und Stimmen?«
    Rosina schauderte.
    »Kommt, ich habe den Weg zurück gekennzeichnet. Wir wollen nach Hause gehen. Diese Sandale habt Ihr wohl verloren?«
    »O ja, danke.«
    Schweigend gingen sie zurück. Sorgfältig prüfte Annik dabei ihre Markierungen, denn die besagten Lichter und Stimmen hatten sie misstrauisch gemacht. In diesem Wald spukten mehr Menschen als Geister umher, und sie hatte den traurigen Verdacht, dass genau diese Ulpia Rosina einen üblen Streich gespielt hatten. Von Cullen wusste sie, dass so etwas hin und wieder passierte. Rosina war ein geeignetes Opfer. Möglicherweise hatte ihr Liebhaber sie am Waldrand verlassen, statt sie zur Pforte zurückzubringen. Und die allgegenwärtigen Augen und Ohren hatten Kunde davon gegeben.
    Es war fast Mitternacht, bis sie endlich das Gut erreicht hatten. Zum Glück war die Pforte unverändert offen, und ungesehen von den Bewohnern schlichen sich die beiden Frauen hinein.
    »Kommt erst einmal mit zu mir, Domina. Wenn Euch
Mechthild oder eine andere Eurer Dienerinnen so sieht, werdet Ihr Fragen beantworten müssen.«
    Rosina folgte ihr in die Hütte, und als Annik die beiden Öllämpchen anzündete, seufzte sie tief auf.
    »Du hast Recht gehabt. Ich sehe entsetzlich aus.«
    »Hier ist eine Schüssel mit Wasser und ein Tuch. Zieht die zerrissenen Kleider aus, ich gebe Euch meines.«
    Rosina zog sich ohne Scheu aus und begann, sich von Kopf bis Fuß zu waschen, kämmte sich dann die zerzausten Haare aus und flocht sie zu zwei Zöpfen. Sie sah erstaunlich jung und mädchenhaft aus in dem goldenen Licht der Lampen. Annik nahm aus ihrer Truhe die Tunika und das Gewand aus Colonia. Sie holte auch den Salbentopf, den sie sorgfältig voll gefüllt hielt, denn kleine Brand- und

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