Der Siegelring - Roman
Angaben. Aber im ersten Ansatz würde ich mal das örtliche Telefonbuch aufschlagen und schauen, ob es einen Eintrag unter Rabe gibt. Und alle, die Valerius oder so ähnlich oder nur V. heißen, einfach anrufen.«
Das wirklich Bezaubernde an Marc war, dass er Lösungen anbot und keine Fragen stellte. Im Augenblick. Das mochte sich bei nächster Gelegenheit ganz hurtig wieder ändern. Der Vorschlag mit dem Telefonbuch war gut, sein nächster galt dem Internet. Und ich wusste, dass ich verrückt genug sein würde, um mich genau auf diese Weise auf die Suche zu machen. Denn die Stunde der Ehrlichkeit war gekommen. Julians Saat war aufgegangen.
Ich sehnte mich nach einem Mann, wie er ihn in der Gestalt des Titus Valerius Corvus beschrieben hatte. Einem Mann, der Prüfungen bestanden hatte und daraus stark hervorgegangen war. Ein Mann, dessen Macht aus ihm selbst kam, der gerecht, geradlinig und bestimmend auftrat, es aber an Fürsorge nicht mangeln ließ. Ein Mann, dessen innere Unabhängigkeit ihm Großzügigkeit erlaubte und der über seine Fehler lachen konnte. Ein seltenes Exemplar Mensch, sicher. Ich fragte mich, ob Julian sich womöglich sogar selbst damit idealisiert hatte. Er war unabhängig, großzügig, humorvoll - ja, diese Eigenschaften hatte ich an ihm von klein auf bewundert.
Aber er hatte mit seiner übertriebenen Rücksichtnahme und dem daraus resultierenden Verschweigen mancher Dinge auch Probleme geschaffen. Nein, er musste einen anderen Mann meinen, von dem er glaubte, dass er für mich bestimmt war. Einen, der über mehr Willensstärke und Durchsetzungskraft als er verfügte. Würde ich mit so einem Menschen zurechtkommen? Mit einem derart starken Mann würde es höllische Auseinandersetzungen geben, denn ich war ganz und gar nicht frei von einem tief verwurzelten Unabhängigkeitsdrang. Aber dann musste ich lächeln. Viel schlimmer als höllische Auseinandersetzungen mit einem willensstarken Mann wäre einer, der ununterbrochen selbstlos, rücksichtsvoll und sanft auf mich reagieren würde. Der arme Kerl würde bei mir schlichtweg vor die Hunde gehen.
Marc war eingeschlafen, seine Brust hob und senkte sich in ruhigen Rhythmen. Marc, mein Retter. Mein Ritter. Ja, er hatte wirklich viel von Martius. Und genau wie er war er manipulierbar, brauchte eine feste Hand, die ihn lenkte, sonst war er auf und davon. Ich mochte ihn inzwischen. Ich empfand eine warme, dankbare Freundschaft für ihn, aber weder liebte noch begehrte ich ihn.
Trotzdem schlief ich den Rest der Nacht unendlich getröstet in seinen Armen.
»Ich fliege am Sonntag nach Brasilien. Komm mit, Anita!«
Ich lachte, als Marc mit nassen Haaren aus der Dusche kam und sich an den Esstisch setzte. Er goss sich Kaffee ein und grinste mich an. Ich betrachtete das schwarze Gebräu, das er da aufgegossen hatte und entschied mich, die Hälfte meiner Tasse mit Milch zu füllen, um mir nicht einen Kreislaufkollaps zuzuziehen.
»Das ist schon ein verlockendes Angebot, der Kälte
und Dunkelheit hier zu entfliehen. Aber ich fürchte, deine Unternehmungen haben nicht gerade den Erholungswert eines Wellness-Urlaubs. Was für ein Projekt verfolgst du?«
»Erholsam - wie man’s nimmt. Ich will mal ein wenig im Urwald herumfotografieren, solange es noch Bäume dort gibt.«
»Ah, siehst du, ich kann zwar mit der Rosenschere ganz hübsch umgehen, aber die Machete liegt mir zu schwer in der Hand. Wann kommst du wieder?«
»Ach, frag nicht. Wer weiß, was sich ergibt!«
»Na, meine Adresse kennst du jetzt ja. Schick mir ein Kärtchen.«
»Hey, du machst mir keine Szene, nicht?«
»Nein, auch wenn du es noch so gerne hättest.«
»Schade. Übrigens, die Fotos von den Glasdingern habe ich dir auf eine CD gebrannt. Kannst du deiner - äh - Freundin geben.«
»Danke. Ich vermute, du wirst von ihr eins dieser Glasdinger bekommen. Behandle sie mit Achtung, die frühen Werke einer Künstlerin haben gewöhnlich nach ein paar Jahren Seltenheitswert und könnten ein Vermögen darstellen.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Mein Instinkt.«
»Diese Rose, die ist mehr als eine Freundin, nicht wahr?«
»Marc, wenn du jemals in deinem Leben Kapital daraus schlägst, dann sind wir auf ewig geschiedene Leute.«
»Soll ich mir mit dem Buttermesser die Pulsader aufritzen und ein großes Indianerehrenwort schwören?«
»Nein, ein Blick aus deinen aufrichtigen blauen Augen genügt mir. Schwöre!«
Er sah mich an, aber das Glitzern in seinen Augen
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