Der Siegelring - Roman
es, und sie zahlt. Nach dem Weg soll ich dich fragen.«
Der Barde beschrieb ihn dem Schützen.
21. Kapitel
Hinterhalt
Der Herr des Hauses war bald nach dem Jupiterfest wieder abgereist, und auch die anderen Gäste verließen mit ihm die Villa. Es kehrte Ruhe ein, und die Arbeiten auf dem Gut nahmen ihren gewohnten Gang. Es wurde geerntet, gejagt, geschlachtet, Vorräte geschaffen für den Winter, und Charal war stolz auf seine erste Weinlese. Es war ein Experiment gewesen, so weit oben im Norden noch Weinstöcke zu pflanzen, aber Valerius Corvus hatte sie geordert und vor einigen Jahren in den Boden setzen lassen. Bisher war die Ausbeute mager gewesen, doch in diesem Jahr, nach einem warmen, feuchten Sommer hatte es einige Fässer Traubenmost gegeben, der für die Weinbereitung bereitstand.
Gratia kam jetzt regelmäßig am Nachmittag zu Annik in die Töpferei. Sie war glücklich darüber, dass ihr Vater es ihr endlich erlaubt hatte, den Umgang mit dem Ton zu lernen. Mit Ulpia Rosina war sich Annik auch einig geworden, die Domina war durchaus bereit, ihrer Stieftochter diese Freiheit zu lassen, solange sie ihre anderen Stunden nicht vernachlässigte.
»Sie mag das im Winter bis zum Frühjahr nächsten Jahres machen, aber dann wird es Zeit, dass sie sich ihren gesellschaftlichen Aufgaben widmet. Ich habe mit Pompeia Plotina vereinbart, dass sie den Sommer bei ihr in der Colonia verbringt.«
»Wird Eure Tante denn noch so lange hier verweilen?«
»Solange Traianus Statthalter ist, wird sie bei ihm
bleiben. Und sie freut sich darauf, ein junges Mädchen in das Gesellschaftsleben einzuführen, da sie ja zu ihrem größten Bedauern keine eigenen Kinder hat. Kaum jemand ist besser geeignet, Gratia gute Verbindungen zu schaffen.«
»Ja, die hat sie wohl. Es wird auch Eurem Gatten dienen, wenn Gratia eine kluge Heirat eingeht.«
»Das wird es wohl. Aber ich habe Valerius Corvus sehr deutlich klar gemacht, dass ich gegen eine erzwungene Ehe bin. Wenn Gratia eine Abneigung gegen jemanden hat, braucht sie ihn nicht zu heiraten. Und wenn es der Caesar selber ist!«
»Der ist schon verheiratet«, stellte Annik trocken fest.
»Ja, er - und auch Traianus. Aber sein Schützling nicht. Hadrian ist einundzwanzig.«
»Das ist doch kein schlechtes Alter. Wenn er Gratia gefällt …«
Rosina lächelte.
»Er ist ein netter Junge. Und Pompeia Plotina hat so ihren Ehrgeiz. Allerdings gibt es da die Vibia Sabina, die eine bessere Partie für ihn wäre als eine bloße Valeria Gratia. Aber man wird sehen. Wenn Gratia niemand findet, kann sie ja noch immer als Töpferin ihren Lebensunterhalt verdienen.«
»Eben!« Annik grinste, aber dann fragte sie: »Wollt Ihr nicht selbst mit Eurer Tochter in die Colonia ziehen?«
»Pompeia Plotina wird erheblich nützlicher für sie sein als ich. Mein Ruf, du weißt, Annik, hat etwas gelitten, und es ist für mich besser, in der Provinz zu leben.« Sie lächelte jedoch bei dieser Aussage, und Annik, die so nach und nach von ihr erfahren hatte, was geschehen war, nickte zustimmend. Es war nicht so unakzeptabel für eine verheiratete Frau, sich einen Liebhaber zu nehmen.
Da Ehen gerade in den Führungsschichten beinahe ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der politisch und wirtschaftlich vorteilhaften familiären Bande geschlossen wurden und nur selten etwas mit gegenseitiger Zuneigung zu tun hatten, führte das zwangsläufig dazu, dass die Ehepartner sich anderweitig nach Gefühlsbindungen umsahen.
Doch völlig unmöglich war es für unverheiratete Mädchen, sich in eine solche Beziehung verwickeln zu lassen. Aber genau das hatte Ulpia Rosina getan. Noch dazu mit einem absolut unstandesgemäßen Mann. Er mochte ja ein hervorragender Handwerker, ein intelligenter und gebildeter Künstler gewesen sein und sogar von hoher Abstammung, aber er war ein Sklave, ein Grieche. Ulpia Rosina hatte sich mit sechzehn in ihn verliebt, ihre Verbindung war lange unentdeckt geblieben, aber mit neunzehn war sie schwanger geworden. Ihre Eltern waren entsetzt, der Sklave wurde bestraft und verkauft, Rosina musste sich in die Hände einer kundigen Hebamme begeben, das Kind wurde abgetrieben.
Die Heimlichkeit konnte nicht gewahrt werden, Gerüchte sickerten durch, die gute Gesellschaft in Italica flüsterte und maß sie mit schrägen Blicken. Ein Jahr hielt sie es durch, dann war sie froh, als ihre Eltern sie Pompeia Plotina in Obhut geben konnten. Mit ihnen kam sie, als sie zweiundzwanzig war, in die Colonia.
Weitere Kostenlose Bücher