Der Siegelring - Roman
Auch hier wurde getratscht, und es war schwer für ihre Tante, einen akzeptablen Ehemann für sie zu finden. Dann aber erschien Valerius Corvus, ein entstellter, siebzehn Jahre älterer, verbitterter Mann, der es in Kauf nahm, beschädigte Ware gegen gute Beziehungen zum künftigen Machthaber zu tauschen. Ulpia Rosina hatte keine Wahl. Sie musste ihn heiraten. Aber es wurde ihr nahe gelegt, sich möglichst wenig in der Gesellschaft der
Colonia zu zeigen, denn es wäre besser, wenn man einfach vergäße, welchen Handel Valerius Corvus, ein viel versprechender Mann in der Politik, geschlossen hatte.
»Ich für meinen Teil würde gerne noch mal die Stadt besuchen«, seufzte Annik.
»Dann wirst du Gratia dorthin begleiten. Wir werden sehen, was sich machen lässt.«
Doch zunächst war nicht daran zu denken, derartige Ausflüge zu unternehmen. Es wurden Krüge und Töpfe benötigt, um die Vorräte darin zu lagern, ein Teil des Hypocaustums war baufällig geworden, und die notwendigen Ziegel für die Stützsäulen des Fußbodens mussten gebrannt werden. Charal wünschte sich außerdem kleinere Amphoren für seinen neuen Wein als die handelsüblichen. Gratia stellte sich zwar geschickt an, aber eine Hilfe war sie noch nicht. Sie lernte mit Begeisterung, den Ton vorzubereiten, Engobe zu mischen und einfache Gefäße zu drehen, aber sie brauchte Aufsicht, und bei dem Brennvorgang war sie vor allem den dreien, Erwan, Ilan und Annik, im Weg.
Die Tage vergingen, das Herbst-Äquinox brachte einen Wetterumschwung. Es wurde kühl und windig, Regen fiel. Es gab wenige Besucher, auch Cullen hatte sich nicht mehr blicken lassen, und da Annik keine Zeit hatte, Waren für den Markt herzustellen, traf sie ihn auch im Dorf nicht. Immerhin verfolgte sie ihre Aufgabe gewissenhaft und versuchte herauszufinden, wer mit wem in Kontakt stand.
Ilan, der fünfzehnjährige Stallbursche und ihr zeitweiliger Gehilfe, war ein pfiffiger Bursche, der Wissen und Neuigkeiten wie ein Schwamm aufsaugte. Aber er hatte wenig direkten Zugang zu den Gesprächen in der Villa. Doch seine Schwester Gwena, die gelegentlich in der Küche aushalf, mochte ihm den Klatsch dort weitergeben.
Zudem betreute er die Pferde der Gäste und könnte aus ihren Gesprächen das eine oder andere erfahren. Aber er schien nicht sehr stark daran interessiert zu sein. Die Katzbalgereien mit seinen gleichaltrigen Gefährten waren ihm wichtiger, und noch wichtiger war es ihm, sein Ansehen bei den Mädchen zu sichern. Er war ein hübscher Junge, hatte eine gewandte Zunge und immer ein Lachen in den Augen, so dass es ihm an Aufmerksamkeit selten fehlte. Derzeit umschwänzelte er eine der sehr jungen Mägde, die in der Frauengruppe um Annik zusammen ins Rheinland gezogen war und nun auf einem der Pachthöfe diente.
Erwan hingegen schätzte seine Bequemlichkeit über alles. Er mochte bei seinen Würfelspielen und Saufgelagen mit den Arbeitern das eine oder andere aufschnappen, aber er schien bei weitem zu träge zu sein, über die Zusammenhänge nachzudenken oder gar gezielte Botschaften weiterzugeben.
Mechthild und die anderen Dienerinnen im Haus hörten viel, aber Annik schienen sie einfach zu dumm zu sein, daraus brauchbare Hinweise abzuleiten. Charal und Ursa waren schon lange im Haus, und beide hielt sie für absolut loyal. Vor allem Ursa kümmerte sich mütterlich um Ulpia Rosina, wenn ihr Gebaren auch manchmal rau erschien. Dass sie vielleicht um den heimlichen Liebhaber wusste, hielt Annik nicht für ausgeschlossen, dass sie aber ihre Herrin in Gefahr brachte, das glaubte sie nicht. Außerdem waren sie und Charal Germanen. Die Römer hatten den Ubiern einige Vorteile verschafft, so dass der schwelende Hass, der bei den Galliern noch vorhanden war, sich bei ihnen nicht fand.
Es ereignete sich auch kein weiterer Zwischenfall, der ihr Möglichkeit gegeben hätte, die Quelle der Informationen dazu ausfindig zu machen.
Bis zu der Nacht zu den fünften Iden des Oktobers, dem Tag vor den Meditrinalia.
Annik war spät zu Bett gegangen, sie hatte beim Schein der Öllampen noch ihre Abrechnungen auf den Wachstäfelchen vermerkt und ihr Häuschen aufgeräumt. Feli war hereingeschlüpft, wie sie es an kühleren Tagen gerne tat, und sich gemütlich auf dem Bett zusammengerollt. Annik hatte sie gestreichelt, bis sie vor Schnurren und Wohlbefinden zu schielen begann, dann hatten sie sich gütlich über die Benutzung des Bettes geeinigt. Für eine Weile ging das ganz gut, doch gegen
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