Der Siegelring - Roman
getrunken.«
»Vermutlich.«
»Wir werden sie ins Krankenhaus bringen lassen müssen.«
»Das wäre mir sehr recht. Sagen Sie mir nur, in welches.«
»Die Sanitäter werden gleich hier sein. Die werden Ihnen das sagen können.«
Er sah mich mit einem Anflug von Mitleid an.
Wir machten die geforderten Angaben, warteten, bis der Krankenwagen und der Abschleppdienst eintrafen, und schließlich nahm mich Marc am Arm.
»Komm, mehr kannst du jetzt nicht tun. Ich bringe dich nach Hause. Du bist weiß wie der Schnee.«
Den ganzen Rückweg schwieg ich und starrte aus dem Fenster in das dichter werdende Schneetreiben. Marc nahm mir den Haustürschlüssel aus der Hand, öffnete die Tür und half mir die Treppen hoch.
»Ich bleibe jetzt bei dir, ob du willst oder nicht.«
»Schon gut, Marc. Danke. Ich mache uns einen Tee oder so. Mir ist so kalt, als hätte ich den ganzen Winter draußen verbracht.«
»Geh ins Bett, Anita. Den Tee werde ich schon hinbekommen.«
Folgsam zog ich die Schuhe, die bis zu den Knien
feuchten Jeans und die klammen Socken aus, schlüpfte in eine alte Jogginghose, aber die beiden dicken Pullover behielt ich an. So kroch ich unter die Decke.
»Beuteltee, schwarz, mit Zucker und dem kostbaren Rest von Calvados. Trink bitte, ohne zu murren!«
Es schmeckte scheußlich, aber es wärmte. Marc hatte unterdessen die Heizung hochgedreht, zog sich ebenfalls bis auf Shorts und T-Shirt aus und schaltete das Licht im Zimmer aus.
»Rutsch ein Stück. Keine Angst, ich geh dir nicht an deinen zarten Leib. Ich will dich nur festhalten.«
Ich war misstrauisch, aber er hatte wirklich nichts anderes im Sinn, als mich in die Arme zu nehmen und an sich gedrückt zu halten. Und nun löste sich meine Verkrampfung, und ich fing hemmungslos an zu zittern.
»Ist ja gut, Anita. Schon gut. Alles ist gut gegangen.«
Solche und ähnliche Dinge murmelte er in mein Haar, bis ich schließlich ruhiger wurde und die Wärme langsam in meine Glieder zurückkehrte. Irgendwann musste ich dann wohl eingeschlafen sein. Ich träumte von blühenden Wiesen und uralten, flechtenbedeckten Steinen, von einem weiten, halbmondförmigen Strand und einem glitzernden blauen Meer. Ich saß auf einer Mole aus rundgeschliffenen Steinen und wartete auf meinen Geliebten. Und als er kam, schmiegte ich mich an seine Schulter.
»Valerius!«, flüsterte ich voller Freude. »Valerius. Ich habe so lange auf dich gewartet!«
Jemand streichelte mein Gesicht, aber die Stimme war eine andere als die, die ich erwartet hatte.
»Tut mir furchtbar Leid, aber ich bin nur Marc. Nicht Valerius.«
Ich fuhr zurück, vollkommen durcheinander. Marc, hier? In meinem Bett?
»Ruhig, Schätzchen. Es hat alles seine Richtigkeit.«
Er machte die Lampe über dem Bett an und sank wieder in die Kissen. Winternacht, Autofahrt, Angst und Aufregung.
»Ja, schon gut.«
Mir war es jetzt viel zu warm, und ich zerrte an meinen Pullovern.
»Nicht so hastig! Langsam ist es viel schöner«, meinte Marc mit einem Lachen in der Stimme und half mir aus den verdrehten Ärmeln.
»Mach dir keine falschen Hoffnungen! Das T-Shirt bleibt an.«
»Das stört auch nicht.«
»Marc, ehrlich. Ich kann nicht. Auch wenn du einer der attraktivsten Männer bist, die je unter meiner Decke gesteckt haben.«
»Nein, du willst nicht mit mir schlafen. Da ist ja Valerius, nicht wahr?«
»Was? Wer?«
»Du hast mich mit diesem Namen angeredet, als du aufgewacht bist. Und es hat sich unsäglich sehnsuchtsvoll angehört. Diesen Mann in deinem Leben hast du mir in der Tat bisher erfolgreich verschwiegen. Ich verspüre den brennenden Stich der Eifersucht!«
»Mach das Licht aus, du brauchst keine Befragung dritten Grades durchzuführen. Ich sage dir auch so die Wahrheit - es gibt keinen Valerius in meinem Leben«, sagte ich und legte mich wieder so, dass mein Kopf an seiner Schulter ruhte.
»Dann hat es einen gegeben.«
»Nein, noch nicht einmal das. Nur einen Traum.«
»Aber einen sehr intensiven. Wer ist dieser Traummann?«
Ich lachte ein bisschen über mich selbst. Ich wünschte
mir doch tatsächlich, dass für mich ein Valerius existierte, wie er für Annik existiert hatte.
»Marc, du bist gut im Recherchieren, hast du behauptet. Sag, wie findet man einen Mann, von dem man nur weiß, dass er so ähnlich wie Valerius, der Rabe heißt? Ich sage dir gleich, ich habe keine Ahnung, wo er lebt, wie er heute aussieht, ob er Manager oder Penner, Staatsmann oder Bauer ist.«
»Bisschen vage, die
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