Der Sieger bleibt allein (German Edition)
vorn filmen, fangen nur einen Teil dessen ein, was vor sich geht.
Die Kollektion ist besser, als er erwartet hat – eine Rückkehr in vergangene Zeiten mit einem kreativen, der heutigen Zeit entsprechenden Touch. Keine Übertreibungen – denn in der Mode gilt dasselbe wie beim Kochen: Entscheidend ist die richtige Dosierung der Zutaten. An die verrückten Hippie-Jahre erinnernde Blumen und Perlen, die aber so angebracht sind, dass sie vollkommen modern wirken. Sechs Models haben schon defiliert, und bei einer hat Hamid einen Punkt am Knie entdeckt, den das Make-up nicht verbergen konnte. Wahrscheinlich hat sie sich ein paar Minuten vor der Show Heroin gespritzt, um sich zu beruhigen und den Hunger unter Kontrolle zu haben.
Dann betritt Jasmine den Laufsteg. Sie trägt eine weiße, langärmelige, handbestickte Bluse, einen über das Knie reichenden, ebenfalls weißen Rock. Sie schreitet sicher aus, und im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, ist ihr Ernst nicht einstudiert, er ist natürlich, absolut natürlich. Hamid wirft einen raschen Blick ins Publikum: Alle schienen von Jasmine hypnotisiert zu sein, niemand schaut dem vorherigen Model nach oder beachtet das Model, das nach ihr kommt.
›Perfekt!‹
Bei ihren beiden weiteren Auftritten mustert Hamid ihren Körpers ganz genau. Er sieht, dass nicht ihre anmutigen Kurven ihre Anziehungskraft ausmachen, sondern ihre Ausstrahlung. Wie soll er es definieren? Die Vermählung von Himmel und Hölle, von Liebe und Hass, die hier Hand in Hand gehen?
Wie jede Modenschau dauert auch diese nicht länger als eine Viertelstunde – trotz der monatelangen Arbeit, die ihr vorausging, um die Kleider zu entwerfen und die Show auf die Beine zu stellen. Am Ende kommt die Designerin auf die Bühne, dankt für den Applaus, die Lichter gehen an, die Musik verstummt – und erst da bemerkt Hamid, wie sehr ihm der Soundtrack gefallen hat. Die sympathische junge Frau kommt wieder zu ihnen und teilt ihnen mit, dass die belgische Regierung sehr an einem Gespräch interessiert sei. Hamid öffnet seine Lederbrieftasche, holt eine Visitenkarte heraus, sagt, er logiere im Hotel Martinez und würde sehr gern einen Termin für den nächsten Tag vereinbaren.
»Aber ich möchte unbedingt mit der Designerin und dem schwarzen Model sprechen. Wissen Sie zufällig, an welchem Dinner die beiden heute teilnehmen? Kann ich hier auf eine Antwort warten?«
Er hofft, die sympathische Blonde würde schnell zurückkommen. Die Journalisten sind inzwischen zu ihm getreten und haben mit ihren üblichen Fragen begonnen: besser gesagt mit einer einzigen, die von verschiedenen Journalisten wiederholt wird:
»Wie fanden Sie die Show?«
»Sehr interessant!« Seine Antwort ist immer dieselbe.
»Und was heißt das?«
Mit der Höflichkeit eines erfahrenen Profis wendet sich Hamid dem nächsten Journalisten zu. Niemals die Presse schlecht behandeln, aber gleichzeitig die Frage nur immer indirekt beantworten, nie zu viel sagen.
Die sympathische Blonde kommt zurück. Nein, die beiden seien nicht zum Galadinner eingeladen. Auch wenn die Minister anwesend sind, das Festival wird von einer anderen Politik dirigiert.
Hamid sagt, er werde ihnen die notwendigen Einladungen umgehend zukommen lassen, was sofort akzeptiert wird. Die Designerin hat bestimmt damit gerechnet, weil sie weiß, was für einen Schatz sie da hat: Jasmine.
Ja, sie ist es. Er wird sie selten bei einer Modenschau einsetzen, weil sie die Kleider, die sie trägt, vergessen lässt. Aber als »das neue Gesicht von Hamid Hussein« ist niemand besser geeignet.
Ewa schaltete ihr Handy wieder ein. Sekunden später schwebt ein himmelblauer Briefumschlag über das Display und öffnet sich. Alles nur, um zu sagen: ›Sie haben eine Nachricht.‹
›Was für eine lächerliche Animation!‹, denkt Ewa.
Wieder die unterdrückte Nummer. Ewa fragt sich, ob sie die sms lesen soll, aber die Neugier ist größer als die Angst.
»Offenbar hast du einen neuen Verehrer, der irgendwie an deine Handynummer gekommen ist«, scherzt Hamid. »So viele sms wie heute hast du noch nie bekommen.«
»Mag sein.«
Tatsächlich hätte sie am liebsten gesagt: »Merkst du denn gar nichts? Zwei Jahre leben wir nun schon zusammen, und du kannst immer noch nicht erkennen, dass ich große Angst habe. Oder glaubst du etwa, ich hätte nur gerade meine Tage?«
Sie tut so, als würde sie ganz entspannt ihre Nachricht lesen:
Deinetwegen habe ich noch eine Welt zerstört. Und ich
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