Der Sieger bleibt allein (German Edition)
erklären?«
»Weil die Umstände darauf hinweisen. Und je schneller die Presse zufriedengestellt ist, umso besser ist es für uns.«
»Und wenn die Journalisten fragen, was die Tatwaffe war?«
»›Alles weist darauf hin‹, dass es sich, wie der Zeuge angegeben hat, um ein Stilett handelt.«
»Aber er ist sich nicht sicher.«
»Wenn sogar der Tatzeuge nicht weiß, was er gesehen hat, was wollen dann Sie behaupten, außer dass ›alles darauf hinweist‹. Jagen Sie dem Jungen Angst ein! Warnen Sie ihn, dass alles, was er sagt, von den Journalisten notiert und später gegen ihn verwendet werden könnte.«
Savoy legt schnell auf, ehe der stellvertretende Inspektor weitere unangenehme Fragen stellen kann.
›Alles weist darauf hin‹, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft handelt, obwohl das Opfer eben erst aus den Vereinigten Staaten eingeflogen ist. Obwohl die Frau allein in ihrem Hotelzimmer untergebracht war. Obwohl sie, aufgrund des wenigen, was man hatte herausfinden können, nur eine einzige unbedeutende Verabredung auf dem Marché du Film neben dem Palais des Congrès gehabt hatte. Die Journalisten haben zu diesen Informationen keinen Zugang.
Und es gab noch etwas viel Wichtigeres, was nur er, Savoy, weiß – niemand sonst in der Mannschaft, niemand sonst auf der Welt.
Das Opfer war im Krankenhaus gewesen. Savoy und sie hatten kurz miteinander geredet, und er hatte sie weggeschickt – in den Tod.
Er schaltet die Sirene wieder ein, um mit dem ohrenbetäubenden Lärm seine Schuldgefühle zu verscheuchen. Nein, nicht er hatte das Stilett in ihren Körper gestoßen.
Er überlegt: ›Diese Frau hatte dort im Wartesaal gesessen, weil sie Verbindung zur Drogenmafia hatte und wissen wollte, ob das mit dem Mord geklappt hatte.‹ Das wäre logisch nachvollziehbar, und wenn er seinem Chef über die zufällige Begegnung berichtete, würde mit Ermittlungen in dieser Richtung begonnen. Selbstverständlich konnte das auch tatsächlich so gewesen sein; sie wurde auf ebenso raffinierte Weise umgebracht wie der Filmverleiher aus Hollywood. Beide waren Amerikaner. Beide waren mit spitzen Gegenständen getötet worden. Alles wies darauf hin, dass hinter den Morden ein und dieselbe Gruppe steckte und dass die beiden Mordopfer etwas miteinander zu tun hatten.
Aber vielleicht irrt sich Savoy ja auch, und es gibt gar keinen Serienmörder in der Stadt?
Denn das an der Croisette aufgefundene Mädchen, das Erstickungssymptome aufwies, die von erfahrenen Händen herrührten, hatte möglicherweise in der Nacht zuvor Kontakt mit jemandem aus der Gruppe gehabt, der sich später mit dem Filmverleiher treffen wollte. Eventuell hatte sie neben Kunsthandwerk ja noch etwas anderes verkauft: Drogen.
Savoy stellt sich die Szene vor: Eine Gruppe von Ausländern kommt nach Cannes, um abzurechnen. In einer der vielen Bars stellt der lokale Dealer einem von ihnen das hübsche Mädchen mit den dichten Augenbrauen vor, ›die mit uns arbeitet‹. Der Ausländer und das Mädchen landen schließlich im Bett, aber der Ausländer hat zu viel getrunken. Er fühlt sich wohl, verliert die Kontrolle und redet zu viel. Am nächsten Morgen wird ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hat, und er engagiert einen Auftragskiller – eine Bande wie diese hat immer einen zur Hand –, der das Problem lösen soll.
Es passt alles so gut zusammen, es muss so gewesen sein.
Alles passt so offensichtlich zusammen, dass es allein schon aus diesem Grund unsinnig ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein Kokainkartell ausgerechnet während des Filmfestivals nach Cannes kommt, wenn dort Hunderte zusätzliche Polizeikräfte aus anderen Teilen des Landes zusammengezogen worden sind – die privaten Bodyguards, die Sicherheitskräfte des Festivals, die Detektive, die rund um die Uhr den sündhaft teuren Schmuck der Festivalbesucher bewachen, nicht mitgerechnet.
So oder so ist der Fall gut für seine Karriere: Abrechnungen unter Mafiaangehörigen bringen ebenso viel Publicity wie ein Serienmörder.
Savoy kann sich entspannen. Was immer sich letztlich als Wahrheit herausstellt, er wird endlich die Bekanntheit erlangen, die ihm schon lange zusteht.
Er schaltet die Sirene aus. Er hat die Strecke auf der Autobahn in weniger als einer halben Stunde geschafft, ist dabei über eine unsichtbare Grenze in ein anderes Land gelangt und jetzt nur noch wenige Minuten von seinem Ziel entfernt. Doch auf der Fahrt hat er in seinem Kopf Gedanken gewälzt, die
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