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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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machen. Sie verlor kein Wort darüber, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden oder darüber enttäuscht war.
    Erst am Montagmorgen bekam Jasmine (Cristina war zu dem Zeitpunkt endgültig tot) einen ersten Kommentar zu hören. Sie warteten gerade im Brüsseler Bahnhof auf den Anschlusszug nach Antwerpen.
    »Du bist das beste Model, mit dem ich je gearbeitet habe.«
    »Du machst Witze!«
    Die Fotografin sah sie ernst an
    »Keineswegs. Kein Zweifel, du bist die Beste. Ich habe zwanzig Jahre Berufserfahrung und unzählige Menschen fotografiert. Ich habe mit professionellen Models und Filmschauspielern gearbeitet. Mit erfahrenen Leuten. Doch niemand, wirklich niemand hat die Fähigkeit gehabt, so wie du Gefühle auszudrücken.
    Weißt du, wie man so etwas nennt? Talent. In bestimmten Bereichen ist Talent einfach feststellbar. Bei Managern, zum Beispiel, die einen vor der Pleite stehenden Betrieb retten und wieder erfolgreich machen. Bei Sportlern, die Rekorde brechen. Bei Künstlern, deren Werke über mehrere Generationen Anerkennung finden. Wie aber soll man Talent bei einem Model festmachen? Also ich kann es, denn ich bin Profi. Dir ist es gelungen, deine inneren Engel und Dämonen der Kamera zu zeigen, und das ist nicht einfach. Ich meine damit nicht die Attitüde von Jugendlichen, die sich als Vampire verkleiden und auf Gothic-Partys gehen, und auch nicht junge Mädchen, die eine unschuldige Miene aufsetzen und versuchen, in Männern pädophile Gefühle zu wecken. Ich rede hier von wahren Dämonen und wahren Engeln.«
    Der Bahnhof wimmelte von Menschen. Jasmine schaute auf die Abfahrtszeit des Zuges und schlug vor, nach draußen zu gehen – sie hatte einen schrecklichen Schmacht, und Rauchen war drinnen verboten. Sie fragte sich, ob sie sagen sollte, was in diesem Augenblick in ihr vorging, oder besser nicht.
    »Vielleicht habe ich ja Talent, aber wenn, dann habe ich es nur aus einem einzigen Grund zeigen können. Du hast in den Tagen, die wir gemeinsam verbracht haben, nie etwas über dein Privatleben erzählt und mich auch nicht nach meinem gefragt. Darf ich dir übrigens etwas von deinem Gepäck abnehmen? Der Beruf eines Fotografen scheint, zumindest in Bezug auf die Ausrüstung, die man schleppen muss, doch eher etwas für Männer zu sein.«
    Die Fotografin lachte.
    »Über mich gibt es nichts Besonderes zu erzählen. Außer dass ich meine Arbeit liebe. Ich bin achtunddreißig, geschieden, kinderlos, habe eine Reihe von Kontakten, die mir erlauben, sorgenfrei, jedoch ohne großen Luxus zu leben. Aber einen Rat möchte ich dir noch mit auf den Weg geben: Falls alles gut läuft, solltest du dich niemals wie jemand aufführen, dessen Überleben von seinem Beruf abhängt, selbst wenn das der Fall sein sollte.
    Folgst du diesem Rat nicht, könntest du leicht vom System manipuliert werden. Selbstverständlich werde ich deine Fotos benutzen und mit ihnen Geld verdienen. Aber du solltest dir ab jetzt eine professionelle Agentin oder einen Agenten suchen.«
    Jasmine zündete sich noch eine Zigarette an. Jetzt oder nie.
    »Weißt du, warum ich mein Talent zeigen konnte? Weil etwas geschehen ist, wovon ich nie geglaubt hätte, dass es mir passieren würde: Ich habe mich in eine Frau verliebt, von der ich mir wünsche, dass sie mir in Zukunft zur Seite steht und mich bei allem berät. In eine Frau, der es gelungen ist, mit ihrer Sanftheit und ihrer Strenge in meine Seele einzudringen, und die alles freigesetzt hat, was es dort an Schlimmem und Gutem gibt. Sie hat es nicht mit langen Meditationsstunden oder mit Psychoanalyse geschafft (meine Mutter wollte immer, dass ich so etwas mache), sondern sie hat...«
    Sie machte eine Pause. Sie hatte Angst, konnte aber jetzt nicht mehr zurück, und sie hatte nichts mehr zu verlieren.
    »Sie hat dazu einen Fotoapparat benutzt.«
    Die Zeit stand still. Die Menschen vor dem Bahnhof gingen nicht mehr weiter, der Lärm verstummte, der Wind erstarb, der Zigarettenrauch gefror in der Luft, alle Lichter gingen aus. Nur zwei Augenpaare, die einander ansahen, leuchteten mehr denn je.
     
    »Fertig!«, sagt die Make-up-Stylistin.
    Jasmine steht auf und sieht ihre Lebensgefährtin an, die in dem zur Garderobe umfunktionierten Salon hin und her geht, Details nachbessert, Accessoires überprüft. Sie ist bestimmt nervös, schließlich ist es ihre erste Modenschau in Cannes, und von deren Erfolg hängt ab, ob sie einen guten Vertrag mit der belgischen Regierung bekommt.
    Jasmine möchte am liebsten zu

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