Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
hervorragend gefahren!“, sprach er den Sieger mit einer Portion Ironie in der Stimme an.
„Fabian heiße ich – danke vielmals, Herr Koslow – ich meine, David“, erwiderte der lange Glarner und machte sogar eine kleine Verbeugung aus dem Nacken. „Bei einer einzigen Hundertstel ist wohl auch eine gehörige Portion Glück dabei.“
„Ich habe Romanis Analyse bereits gesehen. Wenn die Piste fünfzig Meter länger gewesen wäre, wäre ich vorn gewesen. Aber mit
hätte
und
wäre
hat noch keiner gewonnen.“
„Ich kann eben nicht so gut gleiten: das fehlende Körpergewicht. Und ich habe natürlich auch nicht so viel Erfahrung.“
Die unterwürfige Rede nervte Koslow, aber angesichts der vielen Leute im Raum versuchte er angestrengt, höflich zu bleiben. Der Schönling Vorderseher war inzwischen auch eingetroffen.
„Weißt du schon, wie du den Abschnitt zwischen der Bear’s Brow und dem Zielsprung der Olympia-Abfahrt meistern wirst?“, fragte Koslow, um dem hochgeschossenen Luchsiger ein wenig Angst zu machen.
„Dort sind Gleiter-Fähigkeiten gefragt, ich weiß. Ich bin ja nicht so ein exzellenter Gleiter wie du. Aber es liegt ja der spektakuläre Lake Jump auf diesem Abschnitt und die Olympiapiste hat weiter oben viele schwierige Kurven. Wer weniger gut gleiten kann, muss eben technisch besser Ski fahren.“
Diese Binsenwahrheit brachte Koslow nicht weiter. Ihn irritierte der unterwürfige Tonfall des Schweizers. Er selbst war damals nach seinem ersten Sieg im Weltcup beinahe explodiert vor Selbstvertrauen. Sein Trainer hatte ihn sogar mahnen müssen, bei der Überheblichkeit einen Gang zurückzuschalten, und mochte wohl damit auch recht gehabt haben. Der rothaarige Möchtegern-Punk hatte noch nicht einmal eine Freundin. Nach dieser kurzen Begegnung wunderte er sich nicht mehr darüber.
Da es endlich mit der Siegerehrung losging, musste sich Justin Bend als Fünfter auf der Rangliste als Erster auf dem Balkon zeigen. Der Neunzehnjährige ging wenigstens mit erhobenem Haupt hinaus – das gefiel Koslow wesentlich besser als die scheue, feminine Art des Schweizers. Immerhin sollten sie hier alle ein Vorbild für die Jugend abgeben und sich in Luchsigers Art mit zweiundzwanzig Jahren noch wie ein scheuer Schulbub zu benehmen, das fördere sicher die Homosexualität, von der man im Westen so heimgesucht wurde, glaubte Koslow zu wissen.
Der Präsident des Organisationkomitees wollte dem Zweiten und dem Sieger noch gratulieren und riss den Russen aus seinen Gedanken über Luchsiger, während Bend draußen bereits mit ein paar Takten aus einem Justin-Bieber-Song als Nachwuchstalent geehrt wurde.
„Herr Koslow, werden Sie auch in diesem Jahr zwanzig Prozent des Preisgeldes für Ihr Waisenhaus spenden?“, fragte der Präsident.
„Selbstverständlich, aber es ist eigentlich kein Waisenhaus.“
„David ist im Vorstand einer Stiftung für im Krieg zwischen Georgien und unseren Freunden in Südossetien sowie Abchasien heimatlos gewordene Kinder und Jugendliche“, erklärte seine Frau.
Koslow hielt nichts von Georgiern. Sie hatten die Abchasen und Osseten tyrannisiert, bis ihnen Präsident Putin zu Hilfe geeilt war. Doch solche Gedanken behielt er hier in Kitzbühel besser für sich; man würde das im Westen sowieso nicht nachvollziehen können, ärgerte er sich.
Nun ging unter einigen Takten Schuhplattler-Musik der Bayer Vorderseher hinaus. Pesenbauer wurde inzwischen von einem Helfer des Organisationskomitees gefragt, ob sein Hochzeitstermin bekannt gegeben werden dürfe, und der Mann gab dessen Zustimmung schnell per Handy an den Platzsprecher weiter.
„David und Fabian, ihr seid natürlich eingeladen – mit Begleitung“, versicherte der beste Österreicher.
„Cool, danke“, meinte Fabian schlicht, während Koslow feierlich mit „Es wird meiner Frau und mir eine Ehre sein“ antwortete.
Als Jörgi Pesenbauer, der im Nachbarort Kirchberg geborene Ski-Pesi, sich als Dritter zeigte, wurde es richtig laut. Er musste wohl zehntausend Verwandte vor dem Zielhaus haben, so heftig wurde gejubelt und applaudiert, als der Platzsprecher die Hochzeit im kommenden Mai bekanntgab.
„Lächeln draußen, David! 53 Fahrer waren schlechter als du. Denk daran, nicht an den einzigen, der besser war!“, riet seine Frau und schickte ihren Mann auf den Steg hinaus. Dort stand die Siegertreppe, die unauffällig mit Schutzglasplatten gegen allfällige Flaschenwürfe oder dergleichen geschützt war. Der Anblick der
Weitere Kostenlose Bücher