Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
etlichen Zehntausend, die Dunkelheit und Kälte nicht gescheut hatten, um den Helden des Hahnenkamms zuzujubeln, ließen ihn nun doch so etwas wie Schmetterlinge im Bauch fühlen.
„Nur eine Hundertstel hinter dem Besten liegt ein Doppelbürger, Steiermark und Russland. Er ist in Topform für die Olympischen Spiele im eigenen Land. Auf Platz zwei begrüßen wir den Schwarzenegger des Kaukasus, David Koslow! “, moderierte der Platzsprecher. Der hatte wohl darauf angespielt, dass Koslows Mutter aus der Steiermark stammte. Er schüttelte die Hände der drei anderen Rennläufer, die bereits vor Sponsorenwand und Ranglistentafel standen.
Als er seine Position auf Platz zwei einnahm, wurde stark applaudiert – etwas weniger überschwänglich als bei Jörg Pesenbauer vorhin, aber doch sehr respektvoll. Seine Leistung wurde hier im Land seiner Mutter anerkannt – das war ihm wichtig.
„Und nun kommt der 41. Platz des Super-G von gestern. Keine Begeisterung? Ein Fehler, liebe Gäste, denn heute hat er diesen Patzer mehr als ausgeglichen! Nichts für ungut, liebe Favoriten, aber ist es nicht ein ganz besonderer Moment, wenn ein Newcomer überraschend von ganz hinten nach ganz nach vorne fährt? Heuer ist es wieder so weit: Liebe Skisportfans, begrüßen Sie den Sieger des härtesten Skirennens der Welt, den zweiundzwanzig Jahre alten
redhaired punk
aus dem Schweizer Glarnerland – Fabian Luchsiger!“
Unter ein paar harten Punkrock-Klängen – als Sommer-Biker meinte Koslow, „Rise Against“ zu erkennen – erschien nun Fabian: zuerst etwas gebückt, dann ging für Koslow ein unerwarteter Ruck durch den jungen Sportler; der hob die Hände und genoss offensichtlich den Jubel und das Dröhnen der schweren Kuhglocken. Koslow dachte bei Luchsigers Anblick eher an den Leadsänger einer Boygroup als an einen Ski-Champion. Sie schüttelten sich für das Publikum nochmals die Hände, als Luchsiger nun ganz oben auf der Treppe stand – vor den Kameras musste man sich ja sportlich zeigen.
Die fünf Erfolgreichen wurden zuerst mit der Ehrennadel des Skiverbands ausgezeichnet, dann überreichte man den ersten drei die Trophäen. Die silberne, die Koslow entgegen nehmen durfte, war knapp halb so groß, wie er selbst. Gleich darauf stemmte Luchsiger unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Schweizer Treicheln die begehrte goldene Gams von Kitzbühel hoch, wobei der Sieger ein paarmal übermütig auf der Spitze des Podests auf und ab hüpfte. Koslow kam es so vor, als ob der scheue junge Mann von vorhin im Warteraum zurückgeblieben wäre, so verwandelt schien ihm Luchsiger. Er erspähte eine ordentlich große Fangruppe, die russische Fahnen für ihn schwenkte. Auch der zweite Platz hier auf dem begehrtesten Podest des alpinen Weltcups war selbstverständlich ein veritabler Leistungsausweis, da hatte seine Frau schon recht, tröstete er sich.
Der Sprecher bat um Ruhe, als nun zu den Klängen der Schweizer Nationalhymne die Flaggen der Sieger gehisst wurden. Der Anblick der nun fast still die Fahnen schwenkenden Menge, die sich auch im nicht von Scheinwerfern beleuchteten Bereich fortzusetzen schien, ließ selbst den Kaukasier nicht kalt und der Rothaarige links neben ihm musste sich eine Träne von der Wange wischen, nachdem der Schweizerpsalm verklungen war. Koslow hoffte, bei den Olympischen Spielen die russische Hymne bei solch einer Ehrung zu hören. Dafür würde er beten.
Damit war die Ehrung abgeschlossen und die fünf Besten zogen sich wieder ins Zielhaus zurück, während draußen das traditionelle Feuerwerk losging. Im Warteraum umarmte Koslow seine Frau, die nochmals betonte, wie stolz sie auf ihn sei. Er übergab ihr seine Skijacke, denn im VIP-Zelt würde man etwas festlichere Garderobe erwarten. Dazu trug er unter der Jacke bereits ein Hemd und band sich nun schnell eine Krawatte um. Dabei beobachtete er Bends italienische Freundin, die für den Liechtensteiner und den Glarner zwei Sakkos mitgebracht hatte und nun energisch von Luchsiger verlangte, den Nietengürtel durch einen neutraleren zu ersetzen und die pubertären Stiefel durch Halbschuhe. Koslow nervte, dass ein 190 Zentimeter langer Kerl offenbar nicht einmal selbständig genug war, sich ohne Hilfe korrekt anzuziehen.
„Dreh dich mal zu mir, David – so kannst du dich nicht sehen lassen“, lachte seine Frau und löste den missglückten Krawattenknoten, um ihn ihrem Mann neu zu binden, während die beiden Jungen mit der Italienerin das Starthaus
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