Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Konzentrationsschwäche eine Kurve völlig falsch angefahren und dann das nächste Tor verpasst hatte. Bei dem Druck „ein g’scheites Rennen“ zu fahren – wie sich Saubauer jeweils ausdrückte – war sicher nicht einfach. Seit den Ereignissen vor zwei Tagen war die Entführung die Weltschlagzeile schlechthin gewesen. Nur in der westlichen Welt war sich die Presse einig, dass dies keinesfalls die Schuld der Athleten gewesen wäre. Je antiwestlicher das Land orientiert war, desto mehr wurden die schnell zerfallenden Dopingsubstanzen als Motiv vermutet. Das russische Fernsehen ging sogar einen Schritt weiter und verkaufte das Ereignis als eine Verschwörung der Alpenländer gegen Koslow. In einer einstündigen Show versuchte der Sender mit selbst produzierten Einspielern und Interviews mit dem „Patrioten“ Josef Adolew es als erwiesene Tatsache darzustellen, dass die Schweizer georgische Spione angeheuert hätten, um den Dopingtest zu verzögern. Selbstverständlich hatte der Moderator beim Publikum keinen Zweifel aufkommen lassen, dass ihr tapferer David Koslow das Opfer unredlicher westlicher Sportler geworden wäre. So hatte es am Abend die britische Botschaft dem Prinzen berichtet und ihm zur besonderen Vorsicht und Zurückhaltung geraten. Vanessa hingegen hatte ihrem Ärger über die unfaire Berichterstattung freien Lauf gelassen. Die Italienerin schien nur begrenzt für das prinzliche Neutralitätsgebot Verständnis zu haben, doch er hoffte, dies würde sich nicht negativ auf ihre sich entwickelnde Beziehung auswirken.
Sein im Moment sechster Rang im Super-G gleich hinter Simon Pöschl, der inzwischen zwischen ihn und Florian gefahren war, hätte Richard sich Anfang der Saison nicht zugetraut, aber sein nach wie vor nicht offiziell bestätigter vierter Platz in der Kombination und die Goldmedaille seines Zimmergenossen mit den langen roten Haaren hatten seinen Appetit auf Edelmetall geweckt.
„Avanti! Jonny!“, rief Cesare Monti plötzlich. In der Tat wurde der Walliser bei einer Zwischenzeit knapp grün angezeigt. Der Altmeister kämpfte in den Toren, konnte aber den Vorsprung nicht ganz ins Ziel retten und wurde mit dreiundreißig Hundertsteln Rückstand angezeigt, doch die reichten für Bronze. Koslow würde leer ausgehen. Eine herbe Enttäuschung für das einheimische Publikum. Immerhin hatte der Russe genügend Respekt vor Ulrichen, um ihm zu gratulieren.
Es schien nicht der Tag des Nachwuchs, sondern der der erfahrenen Rennläufer zu werden. Der aktuell führende Dave Hall strahlte aus seinem Dreitagebart. So gut wie alle wichtigen Läufer waren im Ziel angekommen und die fünfzehnte olympische Goldmedaille im Ski-Alpin für die USA schien Tatsache zu werden. Ulrichen würde auch bei diesen olympischen Spielen nicht leer ausgehen, es sei denn, Justin würde noch für eine Überraschung sorgen. Im Grunde seines Herzens hoffte Richard eben gerade nicht darauf, denn der Liechtensteiner war ja sein Konkurrent um Vanessas Gunst.
Jetzt wollte ein Helfer die Akkreditierung der Fotografen kontrollieren und einer wurde prompt abgewiesen. Richard konnte sich einer gewissen Schadenfreude darüber nicht erwehren.
Der Teamchef fragte per Funk nach Fabian, der helfe nach wie vor im Warteraum oben am Start seinem Onkel Klaus und scheine sich damit abgefunden zu haben, nicht starten zu dürfen.
Patrik Moser fuhr mit der vorläufigen neunzehnten Zeit ins Ziel und kassierte dafür von Monti ein ärgerliches „Mamma mia!“, verlangte dann aber sowohl von Richard als auch dem Schweizer, dass sie dem letzten oben stehenden Teammitglied, Justin, die wichtigsten Eindrücke von der Strecke via Handy schilderten. Viel Zeit blieb nicht mehr, bis der starten musste. Vanessa meinte, man müsse später Florian trösten gehen, wegen der Ledermedaille, aber jetzt wollte sie erst den Lauf von Justin sehen. Die Italienerin wurde von einer Kamera als Justins Freundin ins Visier genommen. Das tat weh. Der Super-G startete unter den Seilbahnkabeln direkt in das Russian Trampoline hinein. Justin wurde mit der zehntbesten Startzeit gemessen. Doch das sagte noch nicht viel aus. Bei der ersten aussagekräftigen Zwischenzeit wurde der Liechtensteiner schon als der Sechstschnellste gemessen.
„Ist er nicht toll in Form?“, freute sich Vanessa und fügte ein paar Sekunden später immerhin „du selbstverständlich auch, Richard“ hinzu. Schon folgte der nächste Jauchzer, Justin hatte Rang fünf bei der Zwischenzeit am Lake
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