Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
der Österreicher klar. „Ich ziehen den Hut vor den beiden Ausnahmetalenten Luchsiger und Pesenbauer. Guten Abend!“
Justin war im ersten Moment mehr irritiert als erfreut über Fabians eindeutiges Statement zur Demonstration in Sotschi. Im Sport gehörte es zum guten Ton, sich in Interviews auf nichtsagende Allgemeinplätze wie „Ich habe gewonnen, weil ich heute schneller war als alle anderen“ zu beschränken.
Justin wurde sich bewusst, dass Stas wohl schon länger die Wade gegen seine presste, und ließ ihn gewähren. Die Nähe zu einem anderen Schwulen gab ihm in diesem Moment des Angriffs auf seine Freunde ein Gefühl von Sicherheit. Vielleicht wäre es wirklich bald Zeit, in den letzten Monaten als Teenager die pubertäre Angst vor dem Coming-out außerhalb von Julios Freundeskreis hinter sich zu lassen. Doch da er nun regelmäßig unter die Top-Ten fuhr, stellte sein Verstand die Frage, ob er durch ein übereiltes, öffentliches Eingeständnis seiner sexuellen Orientierung nicht Hunderttausende von Franken Sponsorengeld in den Kamin schreiben würde.
Nach der Pressekonferenz schien für alle das Gröbste überstanden zu sein. Mayerhofer hatte gleich danach eine Nachrichtensperre verhängt, sie sollten alle keine spontanen Interviews geben. Justin war das nur recht. Er hätte sich sowieso nicht zugetraut, vor der Kamera die richtigen Worte zu den Ereignissen des Nachmittags zu finden. Saubauer rief die Mannschaft per SMS zu einem konditionserhaltenden Training zusammen, auch damit sich seine Männer nun wieder auf das Wesentliche konzentrierten, nämlich den olympischen Wettkampf.
Am nächsten Morgen versuchte Justin zu ignorieren, dass die anderen Sportler der Schweizer Mannschaft Fabian und Florian in der Mensa demonstrativ übersahen und sich an einen anderen Tisch setzten. Immerhin trauten sich Fabian und Florian beim Frühstück, wieder zusammenzusitzen, und auch Richard mit Vanessa – die schon mit der ersten Gondelbahn von ihrem Hotel im Tal ins olympische Dorf hochgefahren war – nahm an ihrer Seite Platz. Die frühere Bitte der Funktionäre, in Russland sich nicht in einer homosexuell interpretierbaren Weise zusammen sehen zu lassen, ignorierten Fabian und Florian. Monti und Saubauer baten bei dieser Gelegenheit Fabian kurz an ihren Tisch. Justin und Florian glaubten erst, es würde um das gemeinsame Frühstück gehen, aber es war um die Startplätze beim Super-G gegangen, sie wollen sich an die in Schladming getroffenen Abmachungen halten und Pius Caflisch eine Chance geben. Florian vermutete nicht wenig empört, die würden Schiss haben, aber Fabian meinte selbstironisch, bei dem Hin und Her und Her und Hin in den langen Kurven eines Super-G würde er ja sowieso seekrank.
Das Café
Richard hatte als Dritter starten müssen und Florian als Achter. Somit waren sie beide in die Gruppe der ersten acht Startenden im Super-G ausgelost worden. Florian hatte in dieser Gruppe zwar Bestzeit gefahren, wurde dafür jedoch im Ziel mit Pfiffen und Buh-Rufen empfangen. Eine Gruppe Männer, die sich um Josef Adolew geschart hatte, skandierte lautstark einen Spruch, den Stas mit „Haltet die Heimat sittlich“ übersetzte. Nach den ersten acht belegte Richard den zweiten Platz, doch dabei blieb es nicht. Unter dem tosenden Applaus der Einheimischen übernahm Koslow die Führung und übersah demonstrativ Florians Gratulation beim Wechsel an der Spitze des Podests. Doch dort überstand der Russe nur zwei Läufer. Der Italiener Daniel Ruiz verdrängte den kaukasischen Herkules vom Podest und damit konnte nun auch Richard vom dritten Platz in den Betreuerbereich wechseln, wo ihn Vanessa erwartete. Sie ärgerte sich noch immer lautstark über die Pfiffe und Schmährufe, die Florian hatte ertragen müssen. Richard durfte sich nicht dazu äußern, da sich seine Rolle als Rennfahrer und als Prinz nie ganz trennen ließ.
Ein Stöhnen ging durch das Publikum, während eine Gruppe lauthals „USA, USA“ skandierte, denn Dave Hall hatte die Spitze übernommen und damit musste Koslow auf den Bronzeplatz absteigen. Stas teilte inzwischen Monti mit, Justin, Simon Pöschl und Johann Ulrichen seien von der WADA zum Dopingtest aufgeboten worden, unabhängig von ihrer Position im Klassement. Monti nahm das zur Kenntnis. Einige Meter entfernt wurde gerade Wolfgang Sinowatz von seinem Guide ebenfalls informiert. Der österreichische Trainer wurde aber gleich von Jörg Pesenbauer abgelenkt, der wohl aus
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