Der silberne Buddha
eine Schreinerei, in der offensichtlich auch viel gemalt wurde, und um eine Schneiderei mit einem respektablen Nähmaschinenpark.
Dazu standen ringsum an den Wänden unübersehbare Scharen nackter und angekleideter Schneiderpuppen.
Penny Nichols zweifelte keine Sekunde daran, daß beide Werkstätten zum Theater gehörten. Hier wurden Bühnenbilder gebastelt und repariert, Kostüme geschneidert, geändert und repariert oder entworfen.
Er sah sich alles ganz genau an. Als er in einer Nische ein Sofa entdeckte, maunzte er zufrieden wie ein satter Kater. Das war schon eher ein Platz zum Warten... Jetzt wußte er, wo er die nächsten Stunden verbringen würde.
Trotzdem beschloß er auch die restlichen Gelasse und Gemächer einer genauen Musterung zu unterziehen. Schaden konnte so etwas nie. Wenn er auch mit keiner Geldader oder einem versteckten Schatz rechnete — allein schon das heimliche Herumschnüffeln war ein herrliches Vergnügen.
Er gelangte zunächst in einen Raum, in dem so viele Möbel — vom Kinderwagen bis zum kompletten Schlafzimmer — abgestellt waren, daß es zum Ausstatten einer 4-Zim-mer-Wohnung ausgereicht hätte.
Direkt neben der Tür entdeckte Penny fünf übereinandergeschichtete Kartons mit Original Pilsner Bier. Der Besitzer — er zweifelte nicht daran, daß es sich dabei um den Hausmeister handelte — schien ein rechter Feinschmecker zu sein. Als ob in England nicht auch gutes Bier gebraut würde... Na ja, so gutes nun wieder auch nicht. „Was der kann, kann ich auch! Wird ja nicht gerade Buch führen!“ dachte Nichols, kicherte leise und stopfte sich in jede Jackentasche eine Flasche.
Sorgfältig schloß er den Raum wieder ab.
Vor der Tür des nächsten Raumes hing ein Schild. „Bibliothekslager“ stand darauf.
Es roch nach Papier, Staub und (so Penny) Weisheit. In 34 Regalen mit einer Länge von insgesamt 102 Metern standen Bücher über Bücher. Viele von ihnen in reichlich ramponiertem Zustand.
Penny Nichols war schon wieder auf dem Weg zur Tür, als sein Blick auf einen Tisch fiel, auf dem ebenfalls einige Bücher lagen. Zuoberst ein großer Band mit dem Titel „Vogelatlas“.
Der alte Mann mit dem zerknitterten Gesicht stürzte sich darauf wie die Schlange auf die Maus. Er zog sich einen wackligen, harten Holzstuhl heran und hatte bald alles um sich herum vergessen.
Nach einer halben Stunde — es war inzwischen 19 Uhr geworden — fuhr er erschrocken zusammen. Eine Fehlzündung auf der Straße war an seinem „Erwachen“ schuld. Das Entsetzen über seinen Leichtsinn kroch ihm unterm Hemd hoch bis zum Hals. Wie hatte er sich nur so ablenken lassen können?! Ihm fiel das Sofa in der Schneiderei ein und auch, daß seine Tasche noch immer im Heizungskeller stand. Und er erinnerte sich an sein heimliches Vorhaben, das er hinter sich bringen mußte, bevor die anderen ein trafen.
Entschlossen klemmte er sich den Vogelatlas unter den linken Arm und verließ das Bibliothekslager.
Auch hier achtete er darauf, daß die Tür sorgfältig verschlossen wurde. Mit dem Buch, das er wie einen Schatz (also doch einen versteckten Schatz entdeckt!) festhielt, begab er sich in den Heizungsraum, um seine Tasche zu holen. Offen wie sie war, trug er sie behutsam hinüber zur Schneiderei, wo er es sich nach allen Regeln der Kunst bequem machte. Er öffnete die beiden Bierflaschen, stellte in Mac Withneys winzigem Radio die BBC-Mittelwelle ein, vertraute seinen Körper dem Sofa an und setzte die unterbrochene Lektüre des Vogelfachbuches fort. Und er staunte, staunte und staunte. Was er doch alles noch nicht wußte.
Zum Beispiel das, was er da über den Gouldamadine las, den schönsten aller Prachtfinken. Natürlich wußte er, daß dieser Fink aus Australien kam und sich besonders im Grasland und an den Ufern von Wasserläufen wohlfühlte. Taggerty hatte ihm auch versichert, daß er mit diesem Vogel nur Freude haben würde. „Ich sage Ihnen, Mister Nichols, nichts kann Ihre Freude an diesem Tier schmälern!“ Genauso hatte er sich ausgedrückt. Keinen Ton dagegen darüber, daß der Gouldamadine immer viel Wärme braucht und daß er sehr anfällig für Infektionen ist.
Na warte, das würde er Taggerty aber unter die großen Nasenlöcher reiben...
So verstrichen die Viertelstunden.
Als das Tageslicht so schwach geworden war, daß er nicht mehr lesen konnte, legte er das Buch zur Seite. Schluck für Schluck trank er die zweite Flasche aus und schob sie zu der anderen unter das Sofa. Matt
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