Der silberne Buddha
Ungewöhnliches widerfahren war, nötigte ihn zu der Sesselgarnitur in der Ecke des Zimmers.
„Mister Clifton“, begann er, und seine Augen umfingen den Detektiv mit einem flehenden Blick, „ich weiß, daß ich fast Unmögliches von Ihnen verlange, aber lassen Sie es mich trotzdem aussprechen: Bitte warten Sie das Ende der Ausstellung ab, bevor wir die Polizei verständigen.“
Perry Clifton schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich verstehe kein Wort, Sir Ernest. Das ist doch eine Entscheidung, die in erster Linie bei Ihnen liegt.“
Ernest Caven hob beschwörend die Hände. „Der gute Ruf des Hartford-Hauses steht auf dem Spiel. Noch nie war einer Ausstellung hier ein solcher Erfolg beschieden. Es käme einer Katastrophe gleich, würde man jetzt erfahren, was geschehen ist.“
„Wenn der Besitzer des Buddhas einverstanden ist, gibt es doch keine Schwierigkeiten für Sie!“
Sir Ernest stutzte. Irritiert musterte er Clifton. Hatte er sich vielleicht nicht verständlich genug ausgedrückt?
„Aber deshalb spreche ich doch mit Ihnen. Ich weiß zwar, daß Ihr kleiner Freund Mitbesitzer ist, aber in diesem Fall...“ Er verstummte und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern, während es bei Perry Clifton zu dämmern begann.
„Moment, Sir!“ rief er. „Wollen Sie damit behaupten, daß unser silberner Buddha gestohlen wurde?“
Caven riß die Augen auf. „Aber das habe ich Ihnen doch bereits am Telefon gesagt, Mister Clifton. Wir sprechen doch die ganze Zeit schon von nichts anderem.“
Clifton starrte Caven an. Träumte er? Oder war das alles Wirklichkeit? Sicherheitshalber fragte er noch einmal: „Man hat den silbernen Buddha gestohlen?“
Der Direktor nickte zerknirscht. „Trotz größter Sicherheitsmaßnahmen.“
„Und was ist mit dem goldenen Buddha?“
„Der ist, entschuldigen Sie, wenn ich das so betone, Gott sei Dank nicht entwendet worden.“
„Verzeihung, Sir, aber das klingt ein bißchen abenteuerlich, das kann doch nicht sein!“
„Wie meinen Sie das?“
„Man bricht doch nicht in eine Ausstellung ein, um einen hohlen silbernen Buddha zu stehlen, wenn es in der gleichen Ausstellung auch einen massivgoldenen gibt, der vielleicht das Hundertfache wert ist.“
„Aber... aber...“ Ernest Caven fuhr sich über die Stirn.
„Die Tatsachen sprechen für sich. Es läßt sich nur so erklären, daß die Diebe von den Alarmdrähten am Glassturz des goldenen Buddhas abgehalten wurden.“
„Die Alarmanlage wurde demnach nicht außer Betrieb gesetzt?“ folgerte Perry Clifton.
„Nein!“
„Wann haben Sie den Diebstahl bemerkt?“
„Kurz vor Einlaß. Es muß einige Minuten vor halb neun gewesen sein. Mister Balham, einer der Ausstellungsdiener, hat bemerkt, daß die Scheibe der Vitrine nicht richtig geschlossen war. Als er das korrigierte, fiel sein Blick auf die umgefallene Erläuterungskarte, und da wurde ihm die ganze Tragweite seiner Entdeckung bewußt.“
Perry Clifton blieb skeptisch. „Was fehlt außer dem silbernen Buddha eigentlich noch?“
„Nichts, soweit wir bisher feststellen konnten.“
Der Detektiv sprang auf. „Bitte, Sir, entschuldigen Sie mich für einen Augenblick, ich möchte mich selbst von dem Sachverhalt überzeugen.“
„Bitte!“ murmelte Sir Ernest.
Perry Clifton drängelte sich durch das Besuchergewimmel in Saal III. Und er fand bestätigt, was ihm Sir Ernest gesagt hatte: Die Glasvitrine enthielt nur noch vier Statuen. Eine aus geschnitztem Holz, eine zweite aus vergoldetem Holz, eine dritte aus Stein und die vierte aus glasierter Keramik. Man hatte sie so auseinandergerückt, daß niemand, der es nicht wußte, auf den Gedanken kommen konnte, die Ausstellungsleitung habe ein Stück entfernt.
Nichts schien verändert: Unbeschädigt die Drähte der Alarmanlage, ebenso die gläserne Hülle. Zwei Minuten lang musterte der Detektiv den Buddha, dann begab er sich gedankenversunken zu Sir Ernest Caven zurück.
„Nun? Haben Sie sich überzeugt?“
Perry Clifton setzte sich Caven gegenüber.
„Sir“, begann er, „ich behauptete vorhin, als Sie mir sagten, daß man den silbernen Buddha gestohlen habe, daß das sehr abenteuerlich klinge. Nun muß ich Ihnen etwas sagen, was noch viel abenteuerlicher klingt: Nicht der silberne, sondern der goldene Buddha ist verschwunden!“
Sir Ernest betrachtete Clifton durch seine blitzenden Brillengläser zuerst erschrocken, dann erstaunt und schließlich etwas mitleidig.
„Aber Mister Clifton...“
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