Der silberne Buddha
werde.“ Er tupfte sich erneut Schweißperlen von der Stirn.
Perry Clifton aber atmete kurz und heftig durch. Er fühlte wieder jenes aufregende Prickeln in sich, das ihn jedesmal befiel, wenn er sich auf die Jagd nach Tätern, Mitwissern und Motiven machte. Doch er zwang sich zur Sachlichkeit. Mit fast unterkühlter Stimme sagte er: „Lassen Sie uns zur Sache kommen, Sir. Bevor wir uns den bürokratischen Dingen, wie zum Beispiel Versicherung und ähnlichem zuwenden, möchte ich den Fall als solchen durchleuchten. Beginnen wir bei der Alarmanlage. Hier bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder verfügten die Diebe über einen ausgesprochenen Spezialisten, von denen es übrigens gar nicht so viele gibt, oder sie bekamen einen entsprechenden Tip vom Personal.“
„Unmöglich!“ fuhr Sir Ernest auf. Clifton berichtigte ihn: „Auch auf dem Gebiet der Kriminalistik soll man mit dem Wort ,unmöglich’ äußerst sparsam umgehen, Sir. Ich habe gesehen, daß Sie die gesamte Alarmanlage mit einem einzigen Drehschalter außer Funktion setzten.“
Caven nickte: „Stimmt! Aber dieser Schalter ist dreimal gegengesichert!“
„Ja, durch tote Schalter. Auch das habe ich bemerkt. Sind Sie der einzige, der über die Anlage Bescheid weiß?“
Der Direktor schüttelte widerwillig den Kopf.
„Nein. Mister York und Mister Case sind ebenfalls informiert.“ Plötzlich stutzte Caven, und einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle er etwas sagen. Perry Clifton war dieses Zögern nicht entgangen, und er war sicher, daß es mit dem Fall zusammenhing.
„Sir Ernest“, fragte er eindringlich, „ist Ihnen am Wochenende oder auch heute irgend etwas zu Ohren gekommen, was nicht in das Ablauf Schema des Hartford-Hauses paßt?“
Caven runzelte die Stirn und schien lange darüber nachzudenken, ob das, was ihn beschäftigte, in das „Ablaufschema“ hineinpaßte... Nein, es paßte nicht hinein. Es paßte sogar überhaupt nicht hinein. Es war so ungewöhnlich, daß es ihm bereits Sorgen bereitet hatte, noch bevor Clifton das Verschwinden des goldenen Buddhas entdeckte. Wieder tupfte er sich mit dem seidenen Tuch über die Stirn. Schließlich nickte er. Es war ein Nicken, das ihm sichtlich Überwindung kostete.
„Es ist also etwas geschehen!“ stellte Perry Clifton fest.
„Ja. Mister Case ist heute nicht zum Dienst erschienen!“
Clifton war überrascht. „Kommt das öfters vor?“
„Das ist noch nie vorgekommen. Case hat, solange er im Hartford-Haus arbeitet, noch keinen Tag gefehlt.“
„Er gehört zu den drei Personen, die das System der Alarmanlage kennen.“
Sir Ernest schien letzteres überhört zu haben. Er sah Perry Clifton ernst an, als er berichtete: „Nicht allein sein Nichterscheinen heute ist es, was mich beunruhigt. Am Sonnabend wurde ich kurz nach 20 Uhr in meiner Wohnung angerufen. Und zwar aus dem Viktoria-Hospital. Am Apparat war Missis Case. Sie fragte mich, ob ich wisse, wo sich ihr Mann befinde. Und ob ich ihn vielleicht dienstlich weggeschickt hätte.“
„Arbeitet Missis Case in diesem Krankenhaus?“
„Nein, sie ist Patientin. Wie mir Case erzählt hat, handelt es sich um einen komplizierten Beinbruch. Er besuchte seine Frau jeden Abend. Am Sonnabend nun, so sagte mir Missis Case, sei er nicht gekommen. Dafür habe er ihr einen Strauß Rosen geschickt. Finden Sie das nicht komisch?“
„Ja, das ist schon recht merkwürdig. Und ob sich Mister Case am gestrigen Sonntag bei seiner Frau gemeldet hat, wissen Sie nicht?“ Caven schüttelte schuldbewußt den Kopf. „Ich muß gestehen, daß ich die Sache restlos vergessen hatte. Soll ich im Krankenhaus anrufen?“
„Nein, ich werde Missis Case einen Besuch abstatten.“
Ernest Caven rutschte beunruhigt auf seinem Sessel herum. „Halten Sie Case wirklich für verdächtig?“
Echte Sorge schwang in Cavens Stimme mit.
„Ich kenne ihn nicht, Sir!“ gab Clifton zurück. „Auf der anderen Seite muß ich zugeben, daß das Verschwinden des Buddhas und das gleichzeitige Verschwinden dieses Mister Case zu gewissen Überlegungen herausfordert.“
Caven nickte gequält. „Sie haben recht.“
„Wie lange arbeitet er schon im Hartford-Haus?“
„Seit über zwölf Jahren. Vorher war er über zwanzig Jahre am Totalisator in Ascot beschäftigt. Also ebenfalls in einer Vertrauensstellung.“
Der Direktor erhob sich und holte aus einem Schrank einen roten Ordner. „Die Personalakte von Case!“ sagte er und begann bedächtig Seite
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