Der silberne Buddha
sich auf, als könnten wir nicht schneller. Dabei brauche ich nur die große Zehe krumm zu machen, um ihm von hinten übers Dach zu fahren.“
„Perry!!!“
„Ja, Julie?“
„Tu nicht so scheinheilig. Ich habe dich gefragt, ob du weißt, wie hoch Englands höchster Kirchturm ist!“
„Über hundert Meter!“ erwiderte Perry Clifton triumphierend, doch Julie verbesserte ihn: „Eine sehr ungenaue Antwort. Er ist genau 122 Meter hoch! Du hast es also nicht gewußt. Dann dürfte es ja wohl sinnlos sein zu fragen, um welchen 122 Meter hohen Kirchturm es sich handelt — oder?“
„Ich komme mir vor wie in der Schule. Meine Klassenlehrerin war zwar nicht so hübsch wie du, aber ebenso bissig!“
„Du solltest dich was schämen, Perry!“
„Okay, ich bin zerknirscht!“
„Es handelt sich bei der Kirche mit dem höchsten Turm um eben diese Kathedrale!“
„Treffer!“ rief Perry. „Jetzt bin ich nicht nur zerknirscht, jetzt bin ich auch noch überrascht. Sieh mal an, unsere Kathedrale...“ Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Dicki wird staunen, wenn ich ihm heute abend erzähle, daß ich in der Kirche mit Englands höchstem Kirchturm gewesen bin.“
„Er hätte es bestimmt gewußt!“
„Da bin ich nicht so sicher, Julie. Ob man heute in der Schule noch so überflüssige Dinge wie laufende Meter von Kirch- und anderen Türmen lernt?“
„Wollen wir wetten?“ Julie kicherte fröhlich, und Perry Clifton mußte unwillkürlich an seinen letzten Fall zurückdenken, der ihn auf dem Kontinent unter anderem auch nach Basel geführt hatte. 2 Theres hieß sie und war die Haushälterin des pensionierten Kriminalkommissars Johannes Gaitner. Mit ihr hatte er zuletzt gewettet. Und die wettbesessene Theres war als Siegerin aus dem Duell hervorgegangen.
„Okay, wetten wir!“ stimmte Clifton zu. „Wenn Dicki weiß, wo der höchste Kirchturm steht und wie hoch er ist, hast du gewonnen, andernfalls ich!“
„Und um was wetten wir?“
„Um ein Essen zu dritt im L’Etoile !“
„Du bist verrückt!“ entfuhr es Julie erschrocken.
Das L’Etoile war eines der teuersten Speiserestaurants im Londoner Westend. Sie war einmal zusammen mit Mister Hollburn, dem Inhaber des Antiquitätengeschäftes, in dem sie arbeitete, sowie Lord und Lady Stanfield dortgewesen. Die Stanfields hatten Hollburn für ein Vermögen zwei uralte englische Schränke abgekauft. Eine Tatsache, die Lincoln Hollburn mit einer Einladung ins L’Etoile honorierte. Und Julie erinnerte sich, daß er für dieses Essen etwa die Hälfte von dem bezahlen mußte, was sie im ganzen Monat bei ihm verdiente.
„Die Preise im L’Etoile sind mir zu hoch!“ protestierte sie.
„Meinetwegen. Wenn du schon jetzt damit rechnest, die Wette zu verlieren, dann wollen wir uns, was das Lokal anbetrifft, nicht festlegen!“
„Angeber!“ schmollte Julie.
„Das trifft mich an meiner empfindlichsten Stelle, liebe Julie.“
„Eingebildeter Angeber!“
„Du weißt, ich habe mir schon immer was auf meine Allgemeinbildung eingebildet.“
„Ein typischer Fall von Fehleinschätzung!“ frotzelte Julie und schien sich ausgesprochen wohl dabei zu fühlen. Ein Wohlbehagen, das im nächsten Augenblick allerdings einen mächtigen Dämpfer erhielt.
Nach einem anzüglichen Räuspern sagte Perry nämlich: „Du hast bei deinen Detailschilderungen ganz vergessen zu erwähnen, daß der große John Constable es war, der unsere Kathedrale dort vorn bis zum ,Geht-nicht-mehr’ gemalt hat!“
„Aber P-P-Perry...“ stotterte Julie.
„Wußtest du zum Beispiel, daß John Constable enge Freundschaft mit dem damaligen Erzdiakon von Salisbury pflegte? Du hast auch mit keiner Silbe erwähnt, daß der Turm nicht nur der höchste Englands, sondern auch der dritthöchste Europas ist... Na ja, man kann ja nicht alles wissen. Selbst dann nicht, wenn man den ganzen Tag mit Altertümern umgeht...“
Julie Young schnaufte voller Entrüstung: „Du... Du... Du bist ein ganz falscher, hinterhältiger, gemeiner, unverschämter und unsympathischer Bursche!“ Doch ihre Augen sprachen das Gegenteil.
„So, bin ich das?“ Clifton lächelte, und Julie strahlte schon wieder zurück. Abgrundtief seufzend erklärte sie: „Ehrlich gesagt bin ich heilfroh, daß du nicht so ungebildet bist, wie du getan hast.“
„Aber die Wette gilt trotzdem!“
Julie nickte heftig. „Klar, die gilt!“
Um 8 Uhr 30 hatten Perry Clifton und Julie Young Salisbury durchquert und
Weitere Kostenlose Bücher