Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
Hasenfuß sein, schalt er sich und nahm all seinen Mut zusammen. Beim dritten Mal schließlich gelang es ihm, den Kopf des Rotmilans mit der Astgabel festzuhalten und zu Boden zu drücken. Der Falke nutzte seine Chance und machte seiner Beute mit einem kräftigen Biss in den Nacken den Garaus.
Als sich der Milan nicht mehr bewegte, warf William den Ast beiseite und ließ sich ein Stück entfernt ins Gras fallen. Seine Hände waren feucht und zitterten, und sein Herz raste. Der Milan tat ihm leid, denn auch er war ein wunderbarer Vogel. Aber der Falke mit dem herrlichen, fast weißen Federkleid war etwas ganz Besonderes, darum hatte er ihn unbedingt schützen müssen. Hätte er eine Wahl gehabt, hätte er beide Vögel gerettet. Während der Falke seine Beute federte und sich mit ihrem Fleisch gierig den Kropf füllte, betrachtete William ihn genauer. Wie wunderbar muss es sein, einen solch außergewöhnlichen Vogel zu besitzen!, dachte er bewundernd und überließ sich Tagträumereien, in denen er als Falkner solche Falken abtrug.
Als der Greif endlich von den Überresten seiner Beute abließ, bemerkte William, dass der Falke sein linkes Bein schonte. Offenbar hatte er sich während des Kampfes verletzt.
»I ch werde dich mitnehmen und pflegen « , flüsterte William liebevoll. Er empfand ein tiefes Glücksgefühl über den Wink des Schicksals und erhob sich langsam. Da sich der Falke nicht ohne weiteres einfangen lassen würde, legte William seinen Wollumhang ab, schlich sich an und bedeckte den Vogel damit. Er hüllte den Falken so ein, dass er ihn vorsichtig hochheben konnte. Um sich nicht zu verletzen, nahm er sich dabei vor den messerscharfen Krallen des Vogels in Acht, die, gefährlichen Waffen gleich, unter dem Stoff hervorlugten. Voller Respekt trug er das Tier mit ausgestreckten Armen vor sich her, und mit jedem Schritt schien der Vogel schwerer zu werden. Doch die Freude über seinen außergewöhnlichen Fang beflügelte William so sehr, dass er wie auf Wolken schwebte. Sein Entschluss, den Falken zu behalten, war unumstößlich, selbst wenn seine Mutter den Vogel nicht dulden würde. Bestimmt würde sie behaupten, er lenke William nur von seinen Aufgaben in der Schmiede ab, und damit würde sie vermutlich sogar recht haben, weil ihm die Arbeit dort ganz und gar nicht lag. Er würde einen Platz für den Falken finden müssen, an dem seine Mutter ihn nicht entdecken würde.
William seufzte aus tiefster Seele. Der Falke war die Erfüllung eines Traumes, der vor ungefähr drei Wintern begonnen hatte. Einen ganzen, wunderbaren Nachmittag hatte er damals mit dem Maréchal und dessen Falkendame Princess verbringen dürfen.
Guillaume le Maréchal war einer der bedeutendsten Ritter Englands und bis zum Tod Henrys des jungen Königs dessen Lehrmeister gewesen. Der Maréchal war nicht nur ein überaus beeindruckender Mann sondern auch ein gern gesehener Kunde von Williams Mutter. Ihre Schwerter waren über die Grenzen East Anglias hinaus berühmt, und so zählte sie viele wichtige Barone zu ihren Kunden. Manche von ihnen waren freundlich, andere weniger. Der Maréchal, der an jenem Tag bereits zum zweiten Mal in ihrer Schmiede gewesen war, hatte William ein Vielfaches mehr an Aufmerksamkeit geschenkt als bei seinem ersten Besuch, bei dem er ihn kaum beachtet hatte. An jenem Nachmittag aber war er überaus einnehmend gewesen, hatte William immer wieder vertraulich die Hand auf die Schulter gelegt und ihn »m ein Junge « genannt. Während der Maréchal auf die Reparatur seiner abgewetzten Schwertscheide hatte warten müssen, hatte er William – wohl aus Langeweile – in aller Ausführlichkeit erklärt, wie man mit Falken umging und wie man sie zähmte. »L ocke machen « hatte er es genannt und ihm ganz genau geschildert, wie man einen Falken zur Beizjagd abrichtete, was er als »a btragen « bezeichnet hatte. Für eine Weile hatte William Princess sogar halten dürfen und war vom Maréchal gelobt worden, weil er sich dabei so geschickt angestellt hatte. Bei der Erinnerung daran erfüllte William noch immer unbändiger Stolz. Acht Jahre war er damals alt gewesen, und seitdem waren Greifvögel seine große, wenn auch heimliche Leidenschaft.
Sooft es ging, hatte er von da an die Falkner der Umgebung und die hochherrschaftlichen Jagdgesellschaften beobachtet, die sich gelegentlich in der Nähe der Schmiede versammelten. Nun war William elf und wusste bereits eine ganze Menge über Falken, gerade so viel, wie man
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