Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
fiepte und erhob sich trotz seiner offensichtlichen Schmerzen. William horchte nun ebenfalls auf. Das Stampfen von Pferdehufen näherte sich rasch. William stand auf, und kurz darauf sprengte bereits der erste Reiter in den Hof. Das Banner aus leuchtend rotem Tuch mit den drei kriechenden Löwen in Gold, das er in seiner Rechten hielt, flatterte stolz im Herbstwind. Jedes Kind in England wusste, wem diese Farben gehörten. Weiteres Hufgetrappel war zu hören. Es musste eine stattliche Anzahl von Pferden sein, die auf die Schmiede zukamen. Ohne zu warten, bis der Mann das Wort an ihn gerichtet hatte, lief William los. Den Streit mit seiner Mutter hatte er schlagartig vergessen. Er stürzte zur Schmiede, riss die Tür auf und rief aufgewühlt in die Werkstatt:
»D er König! Mutter, der König! «
Es dauerte nur ein paar Wimpernschläge, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er sah, dass die Wangen seiner Mutter – vermutlich vor Freude – gerötet waren. William wusste, wie sehr sie sich wünschte, dass auch König Henry I I. bei ihr Schwerter in Auftrag gab.
»E ndlich! « , stieß sie offensichtlich erleichtert hervor und versuchte mit einer fahrigen Geste, eine ihrer widerspenstigen rostfarbenen Locken unter ihren Kopfputz aus hellem Leinen zu stopfen. Dann strich sie mit beiden Händen über ihre lange Lederschürze, bevor sie sich anschickte hinauszugehen.
»W arte noch! « , hielt Isaac sie auf und packte sie am Arm. »D u hast einen dicken Balken Ruß über dem Mund. Wie ein Bärtchen sieht das aus. Kein Wunder, dass der Junge lachen musste! « Er nahm den Zipfel seines rechten Ärmels, benetzte ihn mit Speichel und wischte seiner Frau liebevoll den schwarzen Streifen aus dem Gesicht.
Als Ellenweore die Schmiede verließ, warf sie ihrem Sohn einen kurzen Blick zu.
Neben glückseliger Erwartung meinte William, auch Verzeihung darin lesen zu können, und war erleichtert.
Isaac legte William freundschaftlich den rechten Arm um die Schultern, ließ den linken hinter seinem Rücken verschwinden, um den Stumpf zu verbergen, und bedeutete den Schmieden mit einem Nicken, ihnen nach draußen zu folgen.
Wie ein glühender Ball stand die Abendsonne über dem Horizont, ganz so, als wäre auch sie vor Freude über den Besuch des Königs errötet. Sie tauchte den Hof in weiches Licht, das auf den Kettenhemden, den Waffen und dem silbernen Zaumzeug schimmerte und die Ritter wie Sagengestalten aussehen ließ. Der traumgleiche Anblick verzauberte William und bestätigte seine Ahnung vom Nachmittag, dass dieser Tag ein ganz besonderer war, den er niemals vergessen würde.
Der König, den William auf Anhieb an dem Wappen auf der Pferdedecke erkannte, hatte breite Schultern, eine kräftige Brust, die durch seine abgesteppte Kleidung noch betont wurde, und einen leichten Bauchansatz. Trotz seines recht fortgeschrittenen Alters von ungefähr fünfzig Jahren war er noch immer ein beeindruckend stattlicher Mann. Die tonsurähnliche, kahle Stelle an seinem Oberkopf rahmte ein licht gewordener Kranz roter Haare ein, deren leuchtende Farbe von grauen Fäden gedämpft wurde. Seine Wangen waren rasiert, die Haut sah ledrig aus, wie vom Wetter gegerbt. Die runden Augen blickten streng, aber auch überaus wach in die Welt. Die tief in seine Stirn eingegrabenen senkrechten Falten verrieten den ewigen Zweifler. Über seiner eher schlichten Jagdkleidung aus feinstem moosgrünen Tuch trug Henry II. einen mit edlem Pelz verbrämten, kurzen Wollmantel. Diese Angewohnheit hatte ihm, wie William aus Erzählungen seiner Mutter wusste, in seiner Jugend, als man die Mäntel noch lang getragen hatte, den Beinamen Curtmantle eingebracht.
Die Schmiedin hatte bei Tisch mehr als einmal vom König und seinem verstorbenen Sohn, dem jungen König erzählt. Eleonore von Aquitanien, die Gemahlin von Henry II., war zunächst mit dem König von Frankreich verheiratet gewesen, hatte nach ihrer Scheidung aber all ihre Besitztümer in die Ehe mit Henry eingebracht und ihn so zu einem überaus mächtigen Mann gemacht, als er zwar Herzog der Normandie, aber noch nicht König gewesen war. Williams Mutter hatte voller Bewunderung berichtet, dass Henrys Krönung die Jahre der Anarchie und des Krieges beendet hatten. König Stephen und seine Base, Kaiserin Mathilde, hatten unerbittlich um den Thron von England gekämpft. Weil aber der König ohne Erben geblieben war, hatte er schließlich Henry, den Sohn Mathildes, an Kindes statt
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