Der silberne Sinn
nicht mein Liebhaber. Wehe, du machst ihm einen Antrag!«
»Ich?« Molly gab sich ahnungslos. »Was könnte ich ihn schon fragen?«
»Ob er dein Schwiegersohn werden möchte.«
»Das würde ich nie…«
»Du hast es bei Guillermo getan.«
»Na ja, der kam aus der Nachbarschaft, und du warst erst dreizehn.«
»Und was ist mit Bill Schneider?«
»Aber das weißt du doch, Kind! Ich habe ihm Spanisch beigebracht, und er war ein so höflicher und talentierter Schüler!« Molly lächelte im warmen Bad glücklicher Erinnerungen.
»Du preist mich an wie saures Bier, und das nun schon seit Jahren. Wenn mir jemand einen Heiratsantrag machen will, dann lasse ihn das bitte selbst entscheiden, Mama. Und du musst mich auch nicht vertreten, wenn es ums Jawort geht.«
»Aber Saraf…«
»Saraf ist ein außergewöhnlicher Mann, und ich helfe ihm, aber das ist alles. Ein für alle Mal: Du brauchst uns nicht zu verkuppeln. Und jetzt möchte ich gerne weiterlesen.« Sie hob den Aktendeckel.
»Ich wollte nur sagen: Saraf tut mir gut.«
Mollys Worte schnürten Yeremi die Kehle zu. Was hatte der Silbermann erklärt? Die Einfühlung gedeihe in einem überhitzten oder unterkühlten Umfeld nicht besonders gut. Wie wahr! Wenn sie auf Mollys Gefühle geachtet hätte, wäre ihr vielleicht früher aufgefallen, dass ihre Adoptivmutter in Wirklichkeit von sich selbst reden wollte. Ja, Saraf tat Molly gut. Die letzten zwei Tage in seiner Gesellschaft hatten sie geradezu aufblühen lassen. So sehr Yeremi diesen Fortschritt begrüßte, so wenig akzeptierte sie Sarafs Mittel. Wenn er die Mollakkorde aus Mollys Seele nur durch seine Gefühlsspielerei in Dur verwandeln konnte, dann sollte er es besser lassen. Bald würde er seiner Wege gehen und Molly erneut in Depressionen versinken. Yeremi fürchtete, ihre Adoptivmutter könne dann endgültig in die geistige Umnachtung abtauchen. Aber diese Sorge sprach sie nicht aus.
»Ich bin dankbar über jedes Lächeln von dir, Mama. Aber nimm ein wenig Rücksicht auf Saraf. Seine Frau ist vor gerade erst zwei Monaten von einem schwarzen Jaguar zerrissen worden. Er muss zunächst den eigenen Schmerz verkraften, bevor er den anderer tragen kann.« Yeremi versenkte sich wieder in die Akte.
Molly nippte an ihrem Tee. »Saraf meinte, er höre mir gerne zu. Er hat auch gesagt, der Schmerz sei einer unserer größten Lehrer.«
»Ach? Hat er das?« Yeremi blätterte weiter.
»Wir unterhalten uns viel.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
»Er hat auch über dich gesprochen.«
Yeremis Blick sprang förmlich in Mollys Gesicht. »So?«
»Vielleicht hat er auch mich gemeint. Bei ihm weiß man das nie so genau.«
Yeremi stöhnte. »Wäre es dir möglich, mir zu sagen, worum es in dem Gespräch ging?«
»Habe ich das nicht schon? Er sagte dem Sinne nach: Wir können nicht in einer echten menschlichen Beziehung aufgehen, ohne verletzt zu werden. Der Schmerz ist einer unserer größten Lehrer. Wir wachsen, indem wir leiden, weil unsere tiefsten Wunden oftmals die Quelle unserer größten Stärke sind.«
»Er hat keine Ahnung, was in mir vorgeht.«
»Hast du es denn, Liebes?«
Yeremis Blick tauchte wieder in die Dokumente ab. »Ich bin gerade dabei, es herauszufinden.«
»Dann wünsche ich dir viel Glück.«
Ohne den Kopf zu heben, schielte Yeremi zu Molly herüber, deren Lächeln zweifellos aufrichtig war. Weil die Tochter sich in Schweigen hüllte, ergriff wiederum die Mutter das Wort.
»Ich habe mir etwas überlegt.«
»Ach.« Yeremi bohrte den Finger auf eine Textstelle, damit sie nicht erneut den Faden verlor.
»Ja, ich nehme wieder einen Englischschüler an.«
Erstaunt blickte Yeremi auf. »Das ist ja wunderbar!«
»Nicht, dass ich es bereut hätte, die Dolmetscherei nach der Heirat aufgegeben zu haben, aber nun ist Nils tot. Warum soll ich nicht ab und zu etwas Unterricht geben, so wie damals?«
»Wir könnten das alte Chauffeurzimmer dafür herrichten lassen.«
»Das wird vorerst nicht nötig sein.«
»Wieso?«
»Weil Saraf Argyr mein erster Schüler ist.«
»Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?« Es war dunkel. Die beiden standen am Strand in Sichtweite des Hauses, dessen Lichter über ihnen leuchteten. Yeremi rang um ihre Fassung.
Saraf tat alles, um sie zu beruhigen. »Der Vorschlag kam von deiner Mutter. Sie erzählte von ihrer früheren Arbeit als Übersetzerin und von den Schülern, die sie Französisch und Spanisch gelehrt hatte. Danach fragte sie mich, was dagegen
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