Der silberne Sinn
an das Verbot gehalten haben. Es gab ja keine Verpflichtung zu Kontrollmaßnahmen. Bestimmt erinnern Sie sich auch noch an die Biowaffenkonferenz vom Dezember 2001. Es war kurz nach den Terrorattacken auf das World Trade Center. Eine Reihe von Milzbrandanschlägen drohte in den folgenden Wochen das ganze Land zu lähmen. Anstatt dem Schrecken ein Ende zu machen, weigerten sich ausgerechnet die Vereinigten Staaten – gegen die Mehrheit der Konferenzteilnehmer –, eine Überprüfung ihrer Vertragstreue zuzulassen. Angeblich fürchtete man Spionage, wenn Ausländern der Zugang zu Industrie- und Militäreinrichtungen im Land gewährt würde. Ich denke eher, man wollte nicht als böser Bube der Weltgemeinschaft entlarvt werden.«
»Das mag sein, aber gerade deshalb sollten Sie meinen inneren Zwiespalt verstehen. Immerhin reden wir hier über Dinge, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.«
Sie ließ sich von den Bedenken des Arztes nicht beirren. »Dafür habe ich vollstes Verständnis, Doktor Sibelius, aber nun hätte ich gerne Ihre Expertenmeinung: Kennen Sie Fälle, in denen solche Trojanischen Pferde hergestellt wurden?«
»Ich bin Hausarzt und kein Spezialist für Biowaffen.«
»Das heißt, Sie können mir nicht weiterhelfen?« Sibelius stöhnte leise. »Sie sind genauso hartnäckig wie Ihr Großvater, Mrs Bellman. Das ist mir schon aufgefallen, als Sie noch ein kleines Mädchen waren, das auf die höchsten Bäume kletterte.« Ein Seufzer drang aus dem Telefon. »Und deshalb habe ich nach Erhalt der seltsamen Analyseergebnisse noch ein wenig weiterrecherchiert. Ich glaubte mich an einen Aufsatz über Anthrax zu erinnern, den ich vor einiger Zeit gelesen hatte, und bin die Inhaltsverzeichnisse meiner Fachzeitschriften durchgegangen. Mit Erfolg. Ich habe sie wiedergefunden, diese äußerst interessante Abhandlung, die unter anderem Israels Kampf gegen den Terrorismus beschreibt. Das Heilige Land hatte und hat immer noch viele Feinde, die wohl selbst vor dem Einsatz biologischer Waffen nicht zurückschrecken würden. Denken Sie nur an Saddam Hussein, der sogar im eigenen Land mit Massenvernichtungswaffen gegen die Kurden vorgegangen ist. Er hat allerdings Giftgas eingesetzt…«
»Das ist mir bekannt, Doktor Sibelius.«
»Selbstverständlich. Entschuldigen Sie meine Abschweifung. Jedenfalls wird in dem erwähnten Beitrag die israelische Zeitung Ha’aretz angeführt, die von der Arbeit eines gewissen Avigdor Shafferman berichtet. Er leitet ein Forschungsinstitut in Nes Ziona. Sein Team hat einem weniger aggressiven Stamm von Bacillus anthracis ein Gen implantiert, das die Produktion von Antikörpern anregt. So konnten Shaffermans Wissenschaftler einen Impfstoff namens MASC-10 entwickeln. Um den zu erproben, haben sie zwei Gruppen von Meerschweinchen mit Milzbrand infiziert. Die geimpften Tiere überlebten ohne Ausnahme, die anderen starben innerhalb von drei Tagen…«
»Moment, Moment«, unterbrach Yeremi den Arzt erneut, während ihr Bleistift hektisch über den Notizblock flog. MASC erinnerte sie an das Wort »Maske«. Ein seltsamer Zufall. »Wenn ich Sie richtig verstehe, dann hat man dem Bazillus bestimmte Erbinformationen eingepflanzt, um damit die Reaktion des Immunsystems zu verändern. Korrekt?«
»Genau so ist es.«
»Dann könnte man also umgekehrt auch eine Kugelbakterie hernehmen und ihr ausgewählte Eigenschaften von Milzbrand einbauen?«
»Meine Antwort auf diese Frage kennen Sie bereits. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen. Das Thema wird mir allmählich zu heiß.«
»Sie haben mir schon sehr geholfen, Doktor Sibelius. Danke.«
Nachdem Yeremi sich von dem Arzt verabschiedet hatte, wählte sie die Nummer ihres Großvaters.
»Opa Carl? Ich bin’s. Rufe bitte so schnell wie möglich bei unserem Militärexperten an.«
»Du meinst Ed?«
»Ja. Er muss etwas für mich herausfinden.«
MR SILVERMAN
Monterey (Kalifornien, USA)
23. Dezember 2005
17.04 Uhr
Yeremi hatte die scherzhafte Bemerkung schon fast vergessen. Ihre Schwiegermutter war vielleicht ein wenig seltsam, spielte hin und wieder auch gerne die naive Witwe, aber man durfte Molly keinesfalls unterschätzen. Nie käme sie auf die Idee, Saraf Argyr bei CNN auftreten zu lassen.
Das tat sie auch nicht. Was Yeremi am Freitagnachmittag erwartete, übertraf dennoch ihre schlimmsten Befürchtungen.
Sie war am späten Morgen aus Berkeley abgefahren, nachdem sie McFarell hatte versprechen müssen, »in diesem
Weitere Kostenlose Bücher